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Archiv-Artikel

Der Marathon-Mann

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der so genannte „Macher“ in der rot-grünen Regierung, wirkt in seiner Rolle als Superoptimist zunehmend isoliert – darauf können Sie Gift nehmen

VON ANNA LEHMANN

Der Morgenröte entgegen, heißt es jeden Tag für Wolfgang Clement. Seit Jahren läuft der Minister für Wirtschaft und Arbeit frühmorgendlich seine Runden, bevor er sich dem Klein-Klein der Politik zuwendet, dem mühsamen Bohren in harten Brettern. Doch auch im Amt strebt der Hobbyläufer Clement unbeirrt von den Widrigkeiten des Alltags, von Null-Komma-Wachstumspronosen oder Fünf-Millionen-Arbeitslose-Meldungen der morgenroten Zukunft entgegen. Und die heißt Vollbeschäftigung.

Minister voll beschäftigt

Auch in einer Gesellschaft mit dauerhaft niedrigem Wachstum sei Vollbeschäftigung möglich, sagte er vor einem halben Jahr im Interview mit der Zeit. Und in diesem Fortschrittsglauben lässt sich Clement auch nicht von solchen schnöden Alltagsangelegenheiten wie einem nicht kleinzuredenden Heer von Arbeitslosen beirren. Als die Zahl der Erwerbslosen die Fünf-Millionen-Marke überschreitet, ist das für Clement kein Grund zum Jammern, sondern – im Gegenteil – ein Anlass zur Erleichterung, das nun die Talsohle durchschritten ist. Und, voilà, schon einen Monat später sind es nur noch 4,986 Millionen, die ohne Erwerb sind. Die lähmende Fünf ist wieder weg vor den Millionen, und auch wenn die Statistik nur um ein halbes Prozent freundlicher aussieht, so versetzt diese Tatsache den Arbeitsminister doch in eine Hochstimmung, die ihn zu jener gestern viel zitierten Äußerung veranlasst: „Diese Grenze wird auch künftig nicht mehr überschritten. Darauf können Sie Gift nehmen.“

Was hat er denn?

Was ist los mit Clement, ist er bekifft? Man könnte meinen, dass Clement, wenn er vom Gift spricht, auf verbotene, aber ungeheuer euphorisierende Stimulanzien anspielt. Womöglich hat Clement selbst vom „Gift“ probiert. Wie sonst lassen sich diese rauschartigen Zustände, der andauernde Optimismus erklären?

Das morgendliche Lauftraining allein bietet keine ausreichende Erklärung, denn erst nach dem 30. Kilometer, wenn der Schmerz in den Oberschenkeln kaum noch steigerbar ist, schießen die körpereigenen Endorphine ins Gehirn, um es lindernd zu umnebeln. Bis zum Oberschenkelschmerz rennt Clement dann doch nicht, also muss seine Euphorie andere, äußere Ursachen haben. Er ist gedopt.

„Sie müssen die Tassen im Schrank lassen“, riet er am selben Tag den Arbeitgebern. Wenn es sich um lösliches „Gift“ handelt, dann sollen also offensichtlich nur jene Gruppe der nun nicht mehr ganz fünf Millionen Arbeitslosen und alle, die potenziell dazugehören könnten, davon probieren.

„Gift“ – also in diesem Falle Aufputschmittel, die die Leistung steigern und die Stimmung heben – könnte zu dem Ruck führen, der schon seit mehreren Jahren nicht durch Deutschland geht. Optimismus muss her, eine zukunftsfrohe Grundhaltung. Man muss nur wollen, dann wird’s schon – diese Maxime trägt der Superoptimist Clement vor sich her. Wenn Gattin Karin im März verkündet: „Wer einen Job wirklich will, kriegt ihn auch“, meint man ihren Mann beifällig nicken zu sehen.

Prognose: Alles besser

Der schlug gestern als erste Maßnahme zur Verbesserung der Lage vor, die Wachstumsprognose von 0,7 auf 1,2 Prozent zu heben. Das würde ein optimistisches Signal setzen, meinte er. Mit Realitätssinn hat das wenig zu tun, wohl aber mit dem Glauben, dass am Ende alles gut wird.

Clements politische Laufbahn ist gepflastert mit Beispielen, die beweisen sollen, dass mit dem nötige Quäntchen Frohsinn alles gelingen kann. Er selbst hat es ja auch geschafft: Vom Baumeistersohn, der als freier Journalist für neun Pfennig pro Zeile ackerte, hat er sich zum Pressesprecher, Landesvater und schließlich Minister hochgedient. Als Landeschef von Nordrhein-Westfalen versprach er, das Land an die Spitze der Bundesländer zu führen. Seiner Bilanz war zwar nicht zu entnehmen, dass dieses Versprechen sich erfüllen würde, doch das behinderte nicht seinen Aufstieg in das rot-grüne Kabinett im Jahre 2002.

Der Exsuperminister

„Superminister“ – der neue Titel, den ihm die Medien verliehen – zeigte den Gipfelpunkt einer nicht mehr zu steigernden Karriere an. Der Pessimist würde sagen, dass es von da an nur noch abwärts gehen kann. Der Optimist würde, ja, was verkünden? Das Ende der Geschichte?

Die ging aber weiter. Clement musste den wenig traumhaften Job erledigen, Hartz IV umzusetzen und die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren. Der Charismatiker Clement fegte seinem Team „Arbeit für Deutschland“ voraus und durch die Firmen. Er klaubte Versprechungen für zusätzliche Ausbildungsplätze zusammen – hier fünf, da 13, so lange, bis die Lücke von 180.000 geschlossen sein würde. Dass das nicht gelang, tat seinem Enthusiasmus keinen Abbruch. Er besuchte Arbeitsagenturen und ferne Länder, sprühte vor Charme und Verheißung.

Irgendwann bei diesem Lauf ging dem Minister das „Super“ verloren. Im Kabinett isolierte er sich mit seinen Attacken gegen den grünen Koalitionspartnern, brach Streit um den Emissionshandel vom Zaun, geißelte ökologische Wachstumsbremsen.

Jeder Langstreckenläufer kommt irgendwann an den Punkt, wo eine Stimme rät aufzuhören und die andere zum Weiterlaufen anfeuert. Clement wird weiterrennen – bis zum Ende.