: „HipHop ist die Musik von heute“
Was ist vom Kuba-Boom übrig geblieben? Juan de Marcos Gonzalez war der Strippenzieher beim Buena Vista Social Club und ist Orchesterchef der Afro Cuban All Stars. Jetzt hat er sein eigenes Label gegründet, um den Nachwuchs zu fördern. Ein Gespräch über die Kollateralschäden der Kuba-Welle, den Austausch mit den USA, den Drang kubanischer Musiker ins Ausland und die technische Revolution auf der Insel
INTERVIEW DANIEL BAX
taz: Herr Gonzalez, was hat der Buena Vista Social Club für die kubanische Musik bewirkt?
Viel. Sie wissen, dass die kubanische Musik bis 1961 die wichtigste tropische Musik der Welt war. Sie tauchte in allen Hollywood-Filmen auf, aber dann verschwand sie für lange Zeit aus dem Bewusstsein.
Mit dem BVSC haben wir wieder eine weltweite Zuhörerschaft erreicht: Dieser Moment war sehr wichtig für die kubanische Musik: Das war das wichtigste kubanische Album oder Projekt des 20. Jahrhunderts.
Ist dieser Erfolg inzwischen nicht auch ein Problem: Weil die alten Soneros alle anderen Stile in den Schatten stellen?
Klar, die meisten Menschen im Ausland kennen nur die nostalgischen Klänge des BVSC oder die Salsa-Musik. Aber es gibt viel mehr als das.
Deswegen habe ich mit DM Ahora mein eigenes Label gegründet: Ich wollte unbedingt etwas für die junge Generation machen und die Vielfältigkeit der kubanischen Musik zeigen.
Was ist denn gerade aktuell?
Vieles, von Jazz bis Pop und Rock. Und HipHop natürlich sowie eine Mischung aus Reggae und Rap namens Reggaeton. Oder moderne kubanische Rhythmen wie Timba. Und eine Mischung aus alledem.
Ich werde mit meinem Label auch weiter traditionelle kubanische Alben produzieren, weil ich diese Musik liebe. Aber ich weiß, dass ich auch kubanischen HipHop produzieren muss, weil das die Musik von heute ist.
Wie hat sich der Erfolg des BVSC für das Revival traditioneller Musik auf Kuba selbst bewirkt? Vor zehn Jahren war diese altmodische Musik doch noch total abgesagt.
Ja, wir hatten zwar keine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA, aber wir sind sehr nahe dran an Amerika: Wir empfangen das US-Radio, und meine Generation will ein wenig amerikanisch leben.
Heute dagegen kann man an jeder Straßenecke eine Band, die „Chan Chan“ spielt.
Es stimmt, es ist immens: Allein in Havanna findet man 25 Bands, die im Stil des BVSC spielen.
Hätten Sie dieses Son-Revival für möglich gehalten, als Sie vor 30 Jahren an der Universität von Havanna die Gruppe Sierra Maestra gründeten?
Sierra Maestra war der Beginn von allem. Das war die erste Band, die kubanische Musik aus den 20er-Jahren im traditionallen Sexteto-Stil spielte. Das war damals, Mitte der Siebzigerjahre, ein großer Hit. Sierra Maestra hat die Aufmerksamkeit unserer Generation auf die traditionelle kubanische Musik gelenkt.
… mit großem Erfolg.
Ja, stellen Sie sich vor: Ich spielte damals die Tres, eine dreisaitige Gitarre. Niemand, zumindest nicht aus der jüngeren Generation, spielte damals dieses Instrument. Heute gibt es Unterricht auf mehreren Levels, von Grundschule bis Universität, und einer unserer wichtigen Lehrer hat sogar eine eigene Notation für die Tres entwickelt.
Heute findet man auf Kuba 15-Jährige, die unglaublich gut sind auf der Tres, besser als ich.
Mit dem weltweiten Erfolg kubanischer Musik hat sich also auch das Erziehungssystem auf Kuba total geändert?
Natürlich. Zu meiner Zeit war kubanische Musik total verboten. Das Bildungssystem war sehr russisch geprägt und auf klassische Musik ausgerichtet: Wir mussten Mozart, Beethoven und Kammermusik spielen. Ich habe sogar Freunde, die aus dem Konservatorium herausgeschmissen wurden, weil sie Rock ’n’ Roll oder Son Motuno spielen wollten.
Heute ist das viel offener: Meine beiden Töchter sind auf dem Konservatorium und spielen in einer kubanischen Band.
Kubanische Musiker, die eine Karriere im Ausland planen …
… die müssen das Land verlassen. Oder sie müssen zu meinem Label kommen.
Gibt es keine anderen Möglichkeiten vor Ort?
Es gibt einige ausländische Firmen, die auf Kuba arbeiten. Aber sie sind alle nach dem BVSC gekommen und nicht, um selbst etwas zu kreieren. Das Problem ist, dass sie nur Geld machen wollen und sich überhaupt nicht um die Musiker scheren.
Und die staatlichen Firmen?
Sie sind gut, aber sie werden total vom Staat kontrolliert. Sie haben nicht die Freiheit, darüber zu verfügen, wo investiert wird. Sie können nicht wachsen oder eine richtige Promotion-Kampagne starten. Der Staat steckt sein Geld lieber in die medizinische Versorgung. Sie wissen, dass wir ein kostenloses Gesundheitssystem haben – das ist sehr teuer.
Wovon leben die meisten Musiker auf Kuba?
Von Live-Konzerten und Alben – wenn sie die Chance haben, eines zu veröffentlichen. Manche produzieren ihre CDs selber und verkaufen sie auf ihren Konzerten für 2 bis 3 Dollar. Mit der technischen Revolution der letzten Jahre ist das ja einfach geworden. Die Rapper etwa produzieren ihre Musik zu Hause, mit ihren kleinen MP3-Geräten.
Können diese Musiker ins Ausland reisen?
Wer keinen Vertrag mit einer staatlichen Agentur in Kuba hat, für den ist schwer. Es gibt zu viele Restriktionen in Kuba. Deshalb verlassen viele Musiker das Land bei ihrer ersten Auslandsreise.
Wollen Sie mit Ihrem Label junge Musiker davon abhalten, ins Ausland abzuwandern?
Ich bin kein Politiker. Aber ich möchte ihnen die Möglichkeiten geben, nicht von Ausländern ausgebeutet zu werden.
Ich werde mit diesem Label wahrscheinlich kein Geld verdienen, eher verlieren. Aber dafür habe ich ja meine anderen Geschäfte.
Welche denn?
Ich besitze Immobilien, vor allem in Mexiko. Damit macht man Geld. Nicht mit Musik.
Wie gestalten sich heute die Beziehungen zu den USA?
Die Hälfte aller Kubaner haben Familie in den USA. Auch der Großteil meiner Familie lebt in Florida, etwa mein Sohn.
Ist die Anti-Castro-Lobby dort nicht sehr stark?
Den einfachen Kubanern ist Politik doch egal. Die leben in den USA, weil sie mehr Geld verdienen und sich einen höheren Lebensstandard leisten wollen. Ich war oft in Miami, habe dort Konzerte gegeben oder Seminare, als Dozent an der Universität.
Ist der Kulturaustausch nicht erschwert worden?
Mit den Afro Cuban All Stars habe ich über 300 Konzerte in den USA gegeben. Aber seit Bush neue Gesetze für „terroristische“ Länder wie Kuba erlassen hat, ist es absolut unmöglich geworden, ein Visum für die USA zu bekommen: Dadurch ist der kulturelle Austausch vollkommen abgebrochen worden. Das ist sehr schlecht. Denn Amerika ist der erste Markt für die Kubaner.