: Muttertier auf LSD trifft dicke Eier
THEATER Heute startet die neue Staffel von „Germany’s Next Topmodel“. Je öder die Casting-Shows, desto wichtiger sind die Juroren. Eine Typologie
VON SASKIA HÖDL, ENRICO IPPOLITO (TEXT) UND KATJA SPITZER (ILLUSTRATION)
Chef: Ganz klar: Sie haben das Sagen. Sie sitzen in der Mitte der Jury mit erhobenem Haupt. Die Jurychefs dürfen alles und haben am Ende immer recht. Sie entscheiden, wer weiterkommt und wer nicht. Das ganze Geplänkel mit den anderen Jurymitgliedern ist das Vortäuschen einer demokratischen Entscheidung, die de facto nicht stattfindet. Doch Heidi Klum, ihres Zeichens Chefin bei „Germany’s Next Topmodel“ (Pro7), lässt sich gar nichts von ihren anderen Juroren vorschreiben. Wo kämen wir denn da hin? Es ist ihre Show. Sie hat die Peitsche in der Hand, und die beiden Pausenclowns gehorchen ihr aufs Wort – wie gut dressierte Hunde. Dieter Bohlen („Deutschland sucht den Superstar“, „Das Supertalent“/RTL), der Prototyp der Chefs, handelt schließlich exakt nach dem gleichen Prinzip. Er treibt es mehr auf die Spitze. Bohlen beleidigt seine Kandidaten und tritt ihre Würde mit Füßen. Natürlich macht Klum das auch – aber bei Weitem subtiler. Der Ex-Modern-Talking-Gitarrist zeigt offensiv, wer hier in der Castingrunde den längsten Penis und die dicksten Eier hat – nämlich er. Die Herrin Klum gibt wenigstens vor, nur das Beste für ihre „Mädchen“ zu wollen. Genau aus diesem Grund sind die Chefs auch so gefährlich. Die Cheftypen sind eine Hybridform in der Typologie der Castingjuroren. Sie haben das höchste Amt inne und sind gleichzeitig die Bösewichte. Das ist per Castinggesetz so verankert. Die Chefs haben sich eine Machtposition gesichert: Ohne sie wäre die Sendung undenkbar. Es heißt schließlich auch „Germany’s Next Topmodel – by Heidi Klum“.
Süß, mehr nicht: Von den Fernsehsendern werden sie als langjährig erfolgreich angekündigt. Es sind jene Namen, die einem bestenfalls in der allerhintersten Ecke des Gehirns ein winziges Licht aufgehen lassen. Also muss, bei Interesse, erst mal Google zurate gezogen werden, um die soeben aufgedeckten Bildungslücken zu schließen. Fernanda Brandao („Deutschland sucht den Superstar“) war also Teil der Band Hot Banditoz, die im Jahr 2004 ein Lied in den Top Ten hatte. Der Bandname an sich macht eigentlich schon klar, warum diese Erinnerung erfolgreich verdrängt wurde. Auf ihrer Homepage steht, dass sie mit 16 Jahren die jüngste lizenzierte Fitnesstrainerin Deutschlands war – das war eindeutig eine Bildungslücke. Langjährig erfolgreich war sie zumindest mit Bushido liiert. Warum die Dame 2011 einen Platz in der „DSDS“-Jury innehält, wird aber bei aller Mühe nicht klar. Auch ihren Jurykollegen Patrick Nuo zu googeln, bewirkt etwas Déjà-vu-Ähnliches. Wobei das wohl eher auf sein Aussehen als auf seine Karriere zurückzuführen ist. Das Einzige, was einem dank eines Cola-Light-Spots noch ein bisschen im Ohr hängt, ist seine Single „Beautiful“ aus dem Jahr 2005.
Dann wäre da noch Nina Eichinger („Deutschland sucht den Superstar“), die ist aber den CO2-Ausstoß einer Google-Suchanfrage einfach nicht wert. Im Internet nach Sylvie van der Vaart („Das Supertalent“) zu suchen ergibt: Sie war 2003 „Sexiest Woman“ der Niederlande. Dort hat sie auch 2 Jahre lang eine Barfrau in der TV-Soap „Costa“ gespielt. Außerdem ist sie Ehefrau eines Fussballspielers. Klar muss sie in der Jury einer Talentshow sitzen. Wer denn sonst.
Mentoren: Auch bekannt als Juroren mit Kenntnissen der Menschenrechte. Sie bilden den Gegenentwurf zu den Klums und Bohlens dieser Nation. Die Mentoren sind Freunde, umarmen die Kandidaten gern, und wenn sie Kritik äußern, dann nur konstruktive. Das ganze Pro7-Casting-Format „The Voice of Germany“ funktionierte nach diesem Konzept. Alle haben sich lieb, und viel wichtiger: Es geht angeblich nur um die Leistung. Denn, die Juroren – Rea Reamonn, The BossHoss, Nena (Mischform, siehe auch –> crazy) und Xavier Naidoo – sehen die singenden Kandidaten nicht, sondern hören sie nur. Gefeiert wird dies als die Revolution der Castingshow, etwas mit Tiefgang, endlich mal nichts Oberflächliches. Das gleiche Prinzip gilt auch für „Unser Star für Baku“ (Pro7/ARD) und erstaunlicherweise für „Das Perfekte Model“ (Vox). Eva Padberg und Karolina Kurkova suchen eine Laufstegprinzessin, die wahrscheinlich am Ende ähnlich erfolglos wird wie die Gewinnerinnen von „Germnay’s Next Topmodel“. Es geht um das Aussehen, so ist das dann halt im Modelgeschäft. Immerhin werden bei Padberg und Kurkova die Kandidatinnen nicht gequält, stattdessen nehmen die zwei Mentorinnen die Modelanwärterinnen ständig in den Arm. Sie sind alle Busenfreundinnen, keiner will jemandem was Böses. „Ich möchte nur, dass es euch gut geht“, sagt Kurkova gern – auch mehrfach hintereinander. Tränen sind was Gutes, sie heilen – so lautet ihr zweites Mantra. Dass auch die Kuschel-Caster aus den Emotionen der Kandidatinnen Kapital schlagen, wird dabei gnädig beschwiegen.
Bisschen Talent: Ach schön, ein bisschen Talent ist schon mal der richtige Weg, um Jurymitglied zu werden. Bestes Beispiel ist Sandy Mölling: Sie gewann in der ersten Staffel der Pro7-Castingshow „Popstars“ einen Platz in der Band No Angels – mit der sie später jahrelang Erfolge erzielte. Wer sonst außer ihr sollte also das Recht haben, über andere Möchtegernsänger zu urteilen? Oft bleibt sie dabei natürlich an der Oberfläche, darf nicht so sehr über Können urteilen – das ist Chefsache. Kommentare wie „Du siehst top aus!“ hören wir stattdessen öfter. Davon kann sich auch Natalie Horler nicht befreien. Horler ist Sängerin, neues Mitglied in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ und eher als Cascada bekannt. Sie ist, wenn man so will, optisch die deutsche Antwort auf Britney Spears – vielleicht noch eine Spur trashiger. Horler brachte uns nicht nur die farbigen Strähnchen in der Frisur zurück, sondern begeisterte vor allem in Großbritannien und Frankreich mit Hits wie „Evacuate The Dancefloor“ oder „Pyromania“. Nun sitzt sie neben Dieter Bohlen, und ähnlich wie Mölling oder alle anderen vor ihr äußert sie sich in den seltenstes Fällen über das Talent der Kandidatinnen, sondern mehr über Äußerlichkeiten. Ab und an rutscht ihr jedoch dann doch ein „Du hast die technisch begabteste Stimme hier“ raus – und oft hat sie damit auch noch recht. Das interessiert nur keinen.
Crazy: Die „Mother of Punk“ Nina Hagen hat die Messlatte für verrückte Juroren ziemlich hoch gelegt. Bruce Darnell kann da noch am ehesten mithalten. Klar, er zeigt weniger Zunge, dafür mehr Tränen und spricht im Fernsehen nicht über Masturbation. Aber seine Aussprüche haben inzwischen Kultstatus. Bei „Germany’s Next Topmodel“ ging er mit „De Handetasche muss am Leben!“ und „Drama, Baby!“ in die Castingshowgeschichte ein. Früher war er selbst Model und davor Fallschirmjäger bei der US Army – ja, richtig gelesen. Jeder Jury ihren Bruce. Er war auch schon beim „Supertalent“ und ist jetzt bei „DSDS“. Sein Nachfolger in der Modeljury, „Rolfe“ Scheider, hat damals ausgerechnet Gina-Lisa Lohfink zu seiner Busenfreundin auserkoren, muss also auch in die Kategorie der verrückten Juroren. Abgesehen davon ist seine französisch-kölsche Aussprache einfach großartig. Die Tänzerin Motshegetsi „Motsi“ Mabuse hat nicht nur einen schön klingenden Namen, sie springt auch gern mal übermotiviert vom Sessel und tanzt wie in Ekstase. Sie muss zeigen, was sie kann. Damit hat sie es verdient, nicht in Sylvies Kategorie zu landen. Der jüngste Zuwachs in der Familie der verrückten Juroren ist Nena: gehauchte Liebesbekundungen, entspanntes Gebrabbel oder albernes Gekicher. Bei „The Voice of Germany“ wirkte sie recht oft wie ein Muttertier auf LSD. Als Zuschauer war man schon etwas besorgt, wenn sie wieder mal einen ihrer Friede-Licht-und-Liebe-Monologe hielt. Kann aber auch am Mondwasser liegen, das sie angeblich mit Vorliebe trinkt.
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