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Archiv-Artikel

Deutsch-polnische Umarmungen

Zwölf Monate lang sollen die Menschen diesseits und jenseits der Grenze üben, sich besser zu verstehen. Politiker eröffneten gestern das Deutsch-Polnische Jahr. Doch abseits des offiziellen Herzens und Händeschüttelns schwelen ungelöste Konflikte

VON UWE RADA

Was haben der Bundespräsident Horst Köhler und der Staatspräsident von Polen, Aleksander Kwaśniewski, gemeinsam? Sie glauben erstens, dass die Wahl des neuen Papstes Deutsche und Polen noch enger miteinander verbinde. Sie nennen zweitens die Schrecken der Vergangenheit beim Namen und wissen doch, dass es eine Gegenwart und Zukunft gibt, die es gemeinsam zu gestalten gilt. Zu guter Letzt umarmen sie sich demonstrativ, wo ein bloßes Händeschütteln auch gereicht hätte. „Die Öffnung der Deutschen und Polen füreinander“, so Kwaśniewski, „ist ein Gegengift gegen alte Traumata und gegen jahrelang gehegte und gepflegte Stereotypen.“

Es herrschte kein Mangel an demonstrativer Zuversicht, als die beiden Staatsoberhäupter im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt am Samstag das Deutsch-Polnische Jahr eröffneten. In mehr als 1.000 Veranstaltungen sollen sich Deutsche und Polen bis zum Mai 2006 mit der Kultur, Geschichte und Gegenwart des jeweils anderen Landes vertraut machen.

Und das ist auch dringend nötig. Nicht nur, weil die Deutschen, wie Köhler es sagte, immer noch viel zu wenig über ihr östliches Nachbarland wüssten. Im kommenden Jahr drohen weitere Bewährungsproben für die zuletzt angespannten Beziehung zwischen beiden Ländern. In Polen hoffen die Euroskeptiker, die EU-Verfassung per Referendum zu Fall zu bringen. Darüber hinaus droht in Warschau eine rechtspopulistische Regierung.

In Deutschland hat die Debatte um Lohndumping die Ängste vor einem Verdrängungswettbewerb mit dem Osten wieder aufleben lassen. Da hilft es dann wenig, dass Politiker beider Länder vor dem ersten Jahrestag der EU-Erweiterung eine überwiegend positive Bilanz gezogen hatten.

Dennoch soll das Deutsch-Polnische Jahr weniger der Umarmung dienen als einem „Export“ der positiven Erfahrungen an der Grenze in die grenzferneren Landesteile. Ein dichtes Netz an deutsch-polnischen Festivals und Kulturprojekten hatte schon in den vergangenen Jahren zwischen Stettin und Zittau dafür gesorgt, dass die nationalen Untertöne dort schwächer vernehmbar waren als anderswo in den Ländern.

Mit Festivals des polnischen Films, Autorenlesungen und Konzerten sollen nun auch zwischen Oldenburg und München die Grenzen zu Polen überwunden werden. Der kulturelle Beitrag Polens für Europa, lautet der nicht ganz heimliche Lehrplan, ist mehr als Fliesen legen oder Staub wischen.

Der Auftakt im Konzerthaus war jedenfalls viel versprechend. Statt mit Chopin im Programm nach Berlin zu reisen, brachte Polens Präsident einen aufregenden jungen Pianisten mit. Mit ebenso wilden wie virtuosen Improvisationen begeisterte der 33-jährige Leszek Moźdźer sein Publikum. Da konnte nicht einmal der Applaus für die Umarmung von Köhler und Kwaśniewski mithalten. Aber die touren die nächsten zwölf Monate ja auch nicht durch die Bundesrepublik.