: Aschenputtel im Atomkraftwerk
Geschichten von der Kamillenteefee, vom Kartoffelkäfer und vom Muskelfaserriss: Das Berliner Duo Wagner & Pohl hat mit „Celandine“ ein zärtliches, euphorisches und märchenhaftes Debütalbum herausgebracht. Heute wird es in der Zentralen Randlage gefeiert. Freundinnen müsste man sein
VON LORRAINE HAIST
„Wagner & Pohl“ – das klingt irgendwie nach Sanitärfachbetrieb, edlen Waschbecken oder einer dieser Kreativagenturen mit Erdgeschossbüro.
Ein bisschen was ist auch dran an diesem Bild: Wagner & Pohl machen zwar „in Musik“ und haben gerade erst ihr Debütalbum veröffentlicht, sind also noch ein Stück vom Mittelstand entfernt. Ein Büro gibt es aber trotzdem schon. Gleich neben Patrick Wagner, dem legendären Ex-Surrogat-, Ex-Kitty-Yo- und jetzt, zusammen mit Yonne Franken, Louisville-Betreiber, arbeitet Barbara Wagner, die Gitarristin der Gruppe Britta, Chefin der Booking-Agentur Wagners Musikbüro und halbe Namensgeberin von Wagner & Pohl, umringt von einem Haufen anderer Kreativer. Während wir den Interviewtermin verabreden, schneit Katharina Hein ins Zimmer, Sängerin, Bassistin und andere Hälfte des Duos. Und macht gleich klar, wer hier Frau Frontfrau ist. Katharina, ein schmales, waches, erwachsenes Mädchen, plaudert drauflos wie ein kleiner Vogel mit vielen Klingeltonmelodien in der Hinterhand. So kann Barbara, die nur spricht, wenn es was zu ergänzen gibt, in Ruhe weiter im Internet recherchieren. Ein gutes Team, das zeigt sich auch bei unserem anschließenden Gespräch im Eckcafé: Der Tapasteller kann nach kurzer Überlegung bestellt werden, weil Katharina den Fleischpart übernimmt.
Aber nicht nur im Alltag, auch musikalisch liegt für dieses Duo der Schlüssel zum Schatz in der Ergänzung, nachzuhören auf ihrem soeben bei Flittchen Records erschienenen Erstling „Celandine“. Die Platte heißt nach einer französischen Dornröschengestalt aus dem 14. Jahrhundert, und Märchenhaftes bestimmt folgerichtig auch die musikalische und textliche Handlung, vom ersten bis zum zwölften Stück, fast alle in Barbaras Wohnung per Homerecording aufgenommen – „während der Kaffee durchlief“, wie Katharina erzählt.
Ein modernes Märchen mit Verlaub, denn Wagner & Pohl haben ihre intensivste musikalische Sozialisation durch Endachtziger- bis Mittneunziger-Helden erfahren. „Unsere Vorbilder sind ganz klar My Bloody Valentine, Sonic Youth, Dinosaur Jr., die Wipers und die Pixies“, kommt es von beiden gleichzeitig. Und genau so klingen auch schon die ersten beiden Stücke des Albums, „Kamillenteefee“ und eben „Celandine“, mit ihren fliegenden Teppichen aus Sphärensounds, Katharinas zauberhaftem Elfengesang und Barbaras warmer, im Hintergrund lärmender Gitarre.
Danach träumt man sich durch Tracks aus poppigen, Laptop-generierten Schnalz-, Knacks- und Flirrlauten und zarten, wie durch weiche, gut riechende Sommerluft schwebenden Gitarrenbogen, die so poetisch heißen, wie sie klingen, „Kartoffelkäfer“ zum Beispiel. Katharinas Texte erzählen dabei auf Englisch vom Aufräumen des eigenen „Kartoffelkellers“, von der Notwendigkeit, Ordnung ins Leben zu heben, von Sinnsuche, dem Kampf mit Illusionen und dem Ankommen in einer fröhlichen, positiven Gegenwart. So meint man das zumindest rausgehört zu haben, denn klar sind die Aussagen nicht, sie stecken – na klar – wie im Märchen zwischen den Zeilen und zwischen den Bildern.
Dass man immer wieder an ihren Texten festsitzt und nicht weiterkommt, klärt sich im Gespräch: Sie wollten einen gar nicht weiterkommen lassen. „Ich denke in Metaphern und spreche in Musik, das heißt, ich will mich ausdrücken, aber auch nicht festlegen“, sagt Katharina Hein. Vielleicht ist es ein ganz klein wenig typisch weiblich, dieses Niedliche, diese Konzentration auf die Kuchenkrümel unterm Küchentisch, aufs Unbestimmte, Esoterische, Elfige oder sogar Aschenputtelige, das manchmal auch etwas an die Quarks oder an Masha Qrella erinnert. Soll da vielleicht von etwas abgelenkt werden? Wenn ja, wovon? Von einer rohen Sexyness, die Klarheit in der Sprache erzeugt, aber auch Angst macht? Vielleicht wäre an dieser Stelle ein bisschen weniger Björk, dafür mehr Joan Jett und Lydia Lunch wohltuend gewesen. Insgeheim weiß das wohl auch die durchscheinende Katharina, wenn sie verehrte Musikerinnen wie Kim Gordon und Chrissie Hynde erwähnt.
Wer allerdings loslassen kann von Fragen wie diesen, der will am liebsten gar nicht mehr aufwachen, so viel zärtliche Euphorie entdeckt man auf dieser Platte. Und auf einmal sogar auch Tanzbeats, die „Muskelfaserriss“ heißen, oder „My Land“, das als Filmsoundtrack komponiert wurde, mit molligen Industrial-Samples, hergestellt im Atomkraftwerk, und einer Stimme, die hier gar nicht mehr engelsgleich, sondern melancholisch und ein Fingerhut voll nach Nico klingt.
Und wieso wirkt er trotzdem so organisch, dieser Ärger im Paradies? Die Antwort liegt mal wieder in der Pärchenfrage bei Wagner & Pohl: „Ich bin eher für die Moll-, Barbara für die Dur-Parts zuständig“, berichtet Katharina, „und was dazwischen liegt, machen wir gemeinsam.“
Diese ungewöhnliche Eintracht zwischen zwei Musikerinnen hat tatsächlich viel von einer Liebesgeschichte, schön und rund, wie sie meistens nur im Märchen passiert: Sowohl Barbara Wagner als auch Katharina Hein gründeten Anfang der Neunziger eine Mädchenband, trennten sich und machten eigene, andere Erfahrungen – Barbara ging zu Britta, Katharina ging studieren und lernte in männlich dominierten Elektroprojekten, wie sich Sounds mit Computern vertragen. Als 2001 Almut Klotz anklopfte und ein Ladytron-Playback für ihren Popchor Berlin wollte, fanden Barbara und Katharina als Wagner & Pohl zusammen. „Da habe ich gemerkt, dass ich keinen Bedarf an neuen Leuten mehr habe“, sagt Katharina, die Sprecherin, und Barbara, die Pragmatikerin im Hintergrund, sie lacht und nickt. Freundinnen müsste man sein.
„Celandine“ (Flittchen Records). Record Release Party heute, 21 Uhr, Zentrale Randlage, Schönhauser Allee 172