Rechte Gewalt in Lichtenberg: Immer noch ein rechtsoffener Kiez
Am Samstag erinnerten Hunderte DemonstrantInnen an Opfer rechter Gewalt in Lichtenberg. Auch eine Kneipe als Treffpunkt für Neonazis gibt es noch.
Der Besuch im Edeka-Markt nahe des Bahnhofs in Berlin-Lichtenberg dürfte für die meisten Menschen vor Ort zum Alltag gehören. Für Eugeniu Botnari sollte der Besuch des Geschäfts am 17. September 2016 jedoch den Tod bedeuten: Der obdachlose Hilfsarbeiter aus Moldau wurde von dem damaligen Filialleiter André S. brutal misshandelt, dieser setzte sogar Quarzhandschuhe ein. Botnari starb wenige Tage später an den Folgen der Verletzungen.
Am vergangenen Samstag erinnerte eine antifaschistische Gedenkdemonstration an diesen und andere Fälle von rechter Gewalt in dem Berliner Bezirk. Einige Hunderte Demonstrant:innen versammelten sich ab dem Nachmittag auf dem Vorplatz des Bahnhofs Lichtenberg. Aufgerufen hatten dazu mehrere antifaschistische Gruppen, darunter die „North East Antifa“ (NEA) und die Silvio-Meier-Gedenk-AG.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder antifaschistische Demonstrationen im Lichtenberger Weitlingkiez, der Gegend rund um den Bahnhof, die Anfang der neunziger Jahre eine Hochburg der Berliner Neonazi-Szene gewesen ist. Der Bahnhofsvorplatz wurde Anfang dieses Jahres nach Botnari benannt, ein Ergebnis jahrelangen Engagements zivilgesellschaftlicher Initiativen. Ein Wand-Graffiti erinnert an Botnari und andere Opfer rechter Gewalt.
Die Lichtenberger FDP stellte sich gegen die Umbenennung eines Platzes. Stefan Förster, ein Vertreter der in Lichtenberg vollkommen bedeutungslosen neoliberalen Partei, durfte in der B.Z. ausführen: „So tragisch das Geschehen auch ist: Sich illegal in Deutschland aufzuhalten und Straftaten zu begehen ist keine Lebensleistung, die geehrt werden müsste.“
Umso wichtiger, dass ein Redner auf der Demonstration an den Grund von Botnaris Tod erinnerte: Der sei „Hass auf Armut“ gewesen: „Er musste sterben, weil er nicht den herrschenden Vorstellungen von Nützlichkeit entsprach“, sagte der Redner. Ein weiteres Beispiel für rechte Gewalt gegen arme Menschen, ebenfalls aus Lichtenberg: 1999 wurde hier der 38-jährige Kurt Schneider von vier Neonazis verfolgt, misshandelt und mit Messerstichen getötet.
Dass Rechtsextremismus im Kiez weiter präsent ist, wurde auch auf der Demonstration deutlich: Vom Lautsprecherwagen aus wurde auf Orte hingewiesen, an denen es erst kürzlich zu rechter Gewalt gekommen ist, ebenso auf nach wie vor bestehende Treffpunkte von Neonazis.
Der Mutter ins Gesicht geschlagen
Ein Beispiel: Auf dem Spielplatz an der Sophienstraße wurde erst Anfang November ein kleines Kind von einem erwachsenen Mann rassistisch beleidigt, während es spielte. Als die Mutter des Kindes intervenierte, schlug der Mann sie ins Gesicht – so die Schilderung in einer Polizeimeldung. Nicht weit entfernt hatte „Der Dritte Weg“ noch kurz vor der Antifa-Demo einen Wahlkampfstand vor einem Supermarkt bezogen.
Wenige Meter weiter das nächste Beispiel: Ein Lokal wirbt zu Ostern mit „Weihnachten statt Ramadan“, was im Weitlingkiez bekannt ist und auch auf der Demonstration thematisiert wurde. Dass Weihnachten und Ostern zwei unterschiedliche Feiertage sind, dass an Ostern traditionell keine Ente gegessen wird – geschenkt.
Beim Zug durch die Margaretenstraße wenige Meter weiter passierten die Demonstrierenden die rechte Szenekneipe „Sturgis“, seit Jahren ein einschlägiger Treffpunkt. 2009 attackierten Neonazis aus dem „Sturgis“ Teilnehmende eines Kiezspaziergangs der Bezirksverordnetenversammlung. Bis heute treffen sich in dem Lokal Neonazis.
Einer, der das „Sturgis“ sehr gut kennen dürfte, begleitete die Antifa-Demo besonders akribisch: der Neonazi-Streamer Sebastian Schmidke. Der 1985 geborene Rechtsextremist gehörte mehrere Jahre dem „Nationalen Widerstand Berlin“ an und ist langjähriges Mitglied der NPD, heute „Die Heimat“. Die Stadt Braunschweig untersagte ihm den Besitz jeglicher Waffen; das Verwaltungsgericht bestätigte dies im Mai 2025. Dass Schmidke, der nicht einmal in Berlin wohnt, linke Veranstaltungen pseudojournalistisch begleitet, ist inzwischen Demo-Normalität in der Hauptstadt.
Mehr Angriffe, mehr Bedrohungen
Der Halbjahresbericht des Lichtenberger Registers verdeutlicht die aktuelle Bedrohungslage: 476 rechte Vorfälle bis Ende Juni – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der Angriffe stieg von 7 auf 19, Bedrohungen und Pöbeleien von 30 auf 56 Fälle.
Besonders betroffen sind Menschen, die sich gegen rechts engagieren. Der Linken-Politiker Lasko Schleunung wurde mehrfach attackiert, nach einem der Übergriffe musste er mit Gehirnerschütterung ins Krankenhaus.
Diese Entwicklungen führten zu Debatten in der Bezirkspolitik. Trotz der Geschichte des Bezirks spielt die CDU-Fraktion das Problem herunter: Fraktionschef Benjamin Hudler zeigte sich „erschrocken, was für ein Narrativ über unsere Heimat erzählt wird. Als ob hier Schlägertrupps durch die Straßen ziehen“, sagte er im Juni in einer Sitzung des Bezirksparlaments.
Nur eine Woche später zog der rechte Schlägertrupp „Deutsche Jugend voran“ DJV durch das benachbarte Marzahn und griff Teilnehmende einer CSD-Parade an.
Was den jungen Linken-Politiker Lasko Schleunung angeht, gibt es immerhin eine gute Nachricht: Einer der Täter, die ihn in den vergangenen Monaten attackiert hatten, sei vor kurzem gefasst worden, erzählte er dem taz-Reporter am Rande der Demonstration in Lichtenberg. Er habe ihn zufällig getroffen und wiedererkannt – genau hier, am Bahnhof Lichtenberg.
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