Landtagswahl mit Handicaps

Nur jedes zweite Wahllokal in NRW ist für Rollstuhlfahrer befahrbar. Auch bei den neuen Wahlautomaten wurden die Belange von Behinderten nicht berücksichtigt

RUHR taz ■ Auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Wahl in Nordrhein-Westfalen haben Behinderte noch viele Barrieren zu überwinden. Gut zwei Wochen vor der Landtagswahl sind nur die Hälfte der Wahllokale für Rollstuhlfahrer zugänglich. Bei der Konzeption der Wahlautomaten, die seit der Europawahl in Städten wie Köln, Dortmund oder Recklinghausen den Wahlzettel ersetzen, sind die Belange von Behinderten schlicht vergessen worden. Dabei schreibt das 2004 in Kraft getretene Landesgleichstellungsgesetz eine zügige Überwindung der „Wahlbarrieren“ vor.

„Probleme machen vor allem die zu Wahllokalen umfunktionierten Gaststätten“, sagt Martin Schulmann, Sprecher der Stadt Gelsenkirchen. Oft seien diese mit „repräsentativen Treppen“ ausgestattet, an die keine Rampe gebaut werden könne. Ein paar Barrieren konnte die Stadt dennoch einreißen: Im September 2004 waren 35 Prozent der Wahllokale für Rollstuhlfahrer zugänglich, heute sind es schon 45 Prozent. Bis 2010 sollen laut Gesetz alle Wahllokale in NRW barrierefrei sein. „Da müssen wir wohl Container aufstellen“, so Schulmann.

Für Blinde, die ihre Stimme auf dem klassischen Wahlzettel abgeben, hat sich die Lage seit der Kommunalwahl wesentlich verbessert: Der Westfälische Blindenverband hat im Auftrag der Landesregierung 5.000 Schablonen erstellt, mit deren Hilfe Sehbehinderte selbstständig wählen können. Bisher wurden nur 1.800 angefragt. „Viele scheinen nicht zu wissen, dass sie bei uns die Schablonen umsonst erhalten“, sagt Sprecherin Maja Dietrich-Kummetz. Dabei sei die Schablone ein echter Gewinn für Blinde, sagt sie. „Es ist eine tolle Sache, das Kreuz selbst machen zu können.“

Doch die Schablonen sind nichts wert, wenn im Wahllokal nicht mit Zetteln, sondern an Automaten gewählt wird – wie in Köln. „Bei dem Konzept wurden die Behinderten nicht berücksichtigt“, sagt Horst Ladenberger vom Kölner Zentrum für selbstbestimmtes Leben. Nicht nur für Blinde, auch für Menschen im Rollstuhl seien die Wahlautomaten nicht geeignet. „Nur wer extrem lange Arme hat, kann selbstständig die Bestätigungstaste drücken.“

Die Landesbehindertenbeauftragte Regina Schmidt-Zadel sieht Nordrhein-Westfalen trotz aller Hürden auf einem guten Weg zur barrierefreie Zukunft. „Es hat sich sehr viel getan“, sagt sie. Sie habe im Februar alle Kommunen und Kreise im Land mit der Bitte angeschrieben, an die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes mitzuwirken. „Aus den Großstädten habe ich viel Resonanz bekommen, die ländlichen Kreise haben mehrheitlich nicht reagiert“, muss sie einräumen.

„Die Landkreise haben bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Schwierigkeiten gemacht“, sagt Willibert Strunz, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“. Unter anderem hätten sie sich gegen die Einrichtung von behindertengerechten Internetzugängen gewehrt. „Niemand erwartet, dass die gesetzlichen Regelungen von einem Tag auf den anderen umgesetzt werden“, sagt Strunz. „Doch statt sich ständig zu beschweren, könnten die Verantwortlichen einfach mal damit anfangen.“ NATALIE WIESMANN