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Archiv-Artikel

„In den Schulen wird der Strom abgeschaltet“

SPANIEN Der Chef des Schüler- und Studentenverbandes FAAVEM in Valencia, Alberto Ordoñez, kritisiert, dass die Verwaltung Mittel für Bildungsstätten zurückhält. Stattdessen investiert die Landesregierung in Projekte wie die Formel 1 und die Regatta America’s Cup

Alberto Ordoñez

■ 20, ist Chef des Schüler- und Studentenverbandes FAAVEM in Valencia und ein Sprecher der Schülerproteste gegen gegen die Sparpolitik im Bildungsbereich.

INTERVIEW REINER WANDLER

taz: Herr Ordoñez, nicht nur in Valencia, überall in Spanien wird im Bildungsbereich gespart. Warum kam es jetzt ausgerechnet in der Region Valencia zu den ersten großen Protesten?

Alberto Ordoñez: In Valencia mobilisieren wir schon seit langem für ein gutes, staatliches Schulsystem. Denn die Landesregierung fördert vor allem private Einrichtungen. So werden Grundstücke, die in Bebauungsplänen für staatliche Schulen ausgeschrieben waren, privaten Universitäten und Schulen überlassen. Die Situation ist unerträglich. An vielen Schulen funktionieren die Heizungen nicht. Der Strom wird abgeschaltet. Es gibt kein Geld für Fotokopien, nicht einmal bei den Klassenarbeiten. Wenn ein Lehrer krank wird, kommt keine Vertretung. In diesem Schuljahr wurden Stellen abgebaut. Es ist nicht etwa so, dass die Gelder für den Schulbetrieb gekürzt wurden. Sondern die Schulverwaltung überweist das Geld für den Schulbetrieb einfach nicht. Die Direktoren wissen nicht, wovon sie die Rechnungen bezahlen sollen.

Wie sieht es an den Privatschulen aus?

Die Privatschulen haben ebenfalls Probleme. Auch sie warten oft vergebens auf die Überweisungen aus der Schulbehörde. Dort mischen wir uns nicht ein. Wir sind für ein staatliches Schulsystem. Privatschulen sind Unternehmen, die mit der Bildung Geschäfte machen. Es kann nicht sein, dass der Staat Privatschulen bezahlt, auf die die Schüler dann kostenlos gehen können. Wir verlangen, dass alle Schulen direkt der Schulbehörde unterstellt werden.

Valencia war für den heutigen konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy jahrelang das Beispiel für gute Verwaltung, Wachstum und Fortschritt. Wie passt das mit dem zusammen, was Sie erzählen?

Das Bild Valencias hat mit der Realität nichts zu tun. Während es in den Schulen an allem fehlt, investiert die Landesregierung der Partido Popular (PP) Millionen, um die Formel 1 hierher zu bringen oder für die Segelregatta America’s Cup. Auch in anderen Bereichen wird gespart. Künftig müssen wir beim Arztbesuch zuzahlen. Dabei war eine der wichtigsten Errungenschaften Spaniens die kostenlose ärztliche Versorgung für alle. Die Landesregierung macht für einige wenige Politik. Die arbeitende Bevölkerung, die jeden Tag um 6 Uhr aufsteht, und deren Kinder profitieren ganz sicher nicht von der Formel 1 noch vom America’s Cup.

Formel 1, America’s Cup, neue Flughäfen, riesige Bauprojekte. Valencia macht gerade in diesem Zusammenhang immer wieder durch Korruptionsfälle Schlagzeilen …

Leider haben wir dank der Korruption traurige Berühmtheit erlangt, weit über Spanien hinaus. Als der ehemalige Chef der Landesregierung Valencia durch ein Geschworenengericht freigesprochen wurde, obwohl die Beweislage erdrückend war, machte sich hier ein Gefühl der Ohnmacht und Rechtlosigkeit breit. Der Schwiegersohn des Königs, Iñaki Urdangarín, der zur Zeit vor Gericht steht, hat ebenfalls Millionen aus Valencia erhalten. Die Bürgermeisterin der Stadt Valencia wird der Korruption beschuldigt. Das sind nur die bekanntesten Beispiele. Die Korruption ist überall.

Tausende auf der Straße

■ In Katalanien, Valencia und Madrid sind am Mittwoch Tausende auf die Straße gegangen, um gegen die Kürzungen in der Bildungspolitik und die Polizeibrutalität zu protestieren. In Katalanien hat die „Einheitsplattform zur Verteidigung der öffentlichen Universitäten“ alle Studierenden, ProfessorInnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen zum Streik aufgerufen. StudentInnen der Autonomen Universität Barcelona besetzten seit dem frühen Morgen eine Autobahn und eine Landstraße, auch einige Eisenbahnlinien wurden blockiert. Rund 100 StudentInnen drangen gewaltfrei in die Studios eines Radiosenders in Barcelona ein und verlasen ein Kommuniqué über den Äther. Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei wie in der vergangenen Woche kam es bis zum frühen Nachmittag nicht. (taz)

Teile der Presse schreiben, dass die Schülerbewegung von den Parteien der Opposition organisiert würde. Stimmt das?

Das ist Blödsinn. Unsere Bewegung entstand in den einzelnen Schulen. Auf jedem Gymnasium gibt es Schülerversammlungen. Dort werden die Mobilisierungen beschlossen und abgestimmt.

Wieso gewinnt die Partido Popular in Valencia dennoch immer wieder mit absoluter Mehrheit?

Sie haben die absolute Mehrheit der Abgeordneten im Regionalparlament, bei den Wählerstimmen nicht. Wir haben ein ungerechtes Wahlgesetz. Dieses führt dazu, dass ein Stimme für eine der beiden großen Parteien, Partido Popular oder Partido Socialista, bis zu sieben Mal so viel zählt wie die Stimmen für die kleinere Parteien. Leider lassen sich viele Menschen täuschen. Sie sehen das folkloristische Valencia, das uns die Politiker verkaufen, aber nicht die Realität dahinter. Unsere Proteste hinterfragen dieses Bild.