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Kollege von Sacharow-Preisträger„Lukaschenko weiß, dass diese Menschen seine ‚Währung‘ sind“

Der Journalist und Sacharow-Preisträger Andrzej Poczobut sitzt in Belarus im Gefängnis. Doch er bleibe unbeugsam, sagt sein Kollege Bartosz Wieliński.

Der Journalist Andrzej Poczobut 2023 in einem Gerichtssaal in Grodno, Weißrussland Foto: Leonid Shcheglov/ap
Anastasia Zejneli

Interview von

Anastasia Zejneli

Nach seinem ersten Gefängnisaufenthalt im Jahr 2011 schrieb Andrzej Poczobut in einem Text für die „Gazeta Wyborcza“: „Ich sollte mich entschuldigen und Lukaschenko um Gnade bitten, doch mir tat nichts davon leid“. Damals wurde er nach kurzer Zeit freigelassen. Heute sitzt er seit mehr als vier Jahren in Haft.

taz: Herr Wieliński, Sie sind ein enger Vertrauter und Kollege von Poczobut. Wenn Sie diese Worte heute lesen – was sagen sie Ihnen über seinen Charakter und seine Überzeugung?

Bild: Mateusz Skwarczek / Agencja Gazeta
Im Interview: Bartosz Wieliński

1978 in Kattowitz geboren, ist stellvertretender Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Der Sacharow-Preisträger Andrzej Poczobut war bis zu seiner Verhaftung Belarus-Korrespondent des Mediums.

Bartosz Wieliński: Das Zitat beschreibt ihn perfekt. Andrzej ist unbeugsam, lässt sich nicht erpressen und handelt immer aus Überzeugung. Für viele Deutsche ist das schwer zu verstehen, aber in Polen haben wir diese romantische Tradition. In der Schule lesen wir über Menschen, die für ihr Vaterland sterben, über Helden, die ihre Freiheit opfern. Andrzej ist durch diese patriotische Haltung geprägt. Für ihn war das kein Ideal, sondern seine Art zu leben. Er hätte fliehen, er hätte eine Erklärung unterschreiben oder um Gnade bitten können, aber das tat er 2011 und tut er heute nicht. Er leidet sehr, aber er bleibt sich treu. Er ist eine Figur, wie man sie aus der Geschichte von damals kennt.

taz: Welche Themen oder Berichte haben Poczobut besonders gefährlich gemacht?

Wieliński: Bereits 2011 wurde er verhaftet, weil er Lukaschenko in einem Artikel als Diktator bezeichnet hatte. Er wurde zwar freigelassen, aber der Präsident hat das nie vergessen. Lukaschenko hasst Polen, denn er ist ein Relikt aus Sowjetzeiten. Andrzej ist Teil der großen polnischen Minderheit in Belarus, die von Warschau lange unterstützt wurde, mit Schulen, Kulturzentren und weiterer Infrastruktur. Poczobut war eine wichtige Figur der Minderheit. Das hat dem Regime nicht gefallen. Dazu kommt, dass freier Journalismus verboten ist, jeder unabhängige Journalist gilt als Staatsfeind.

taz: Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?

Wieliński: Das war kurz vor seiner Festnahme im Jahr 2021. Ich sagte ihm: „Andrzej, du musst fliehen.“ Aber er antwortete: „Auf keinen Fall. Ich bleibe.“ Einige Wochen später wurde eine andere Journalistin verhaftet. Andrzej schrieb auf Twitter, in welcher Polizeistation sie festgehalten wurde, er wusste genau, dass er sich damit selbst gefährdet und auch er bald dran sein könnte. Trotzdem blieb er zu Hause. Am nächsten Morgen kam der KGB und nahm ihn fest.

taz: Unter welchen Bedingungen lebt Poczobut heute in Haft?

Wieliński: Er hat eine Wallfahrt durch das belarussische Strafsystem hinter sich, durch fünf oder sechs verschiedene Gefängnisse. Er war in Grodno, in Minsk, in Nawapolazk. In einem Gefängnis wurde er absichtlich dem Coronavirus ausgesetzt. Besonders symbolisch ist, dass er an denselben Orten eingesperrt war, in denen früher polnische Aufständische nach dem Zweiten Weltkrieg festgehalten wurden. Die Geschichte wiederholt sich. Der Druck auf ihn ist enorm. Einmal hieß es, er sei in eine Hochsicherheitsabteilung in Minsk verlegt worden, in der sonst Häftlinge auf ihre Hinrichtung warten. Das war reine Schikane.

taz: Haben Sie Informationen über seinen aktuellen Gesundheitszustand?

Wieliński: Nur sehr wenige. Es gibt fast keine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten. Was wir wissen, stammt aus kurzen Mitteilungen von Anwälten oder Gerüchten, die aus der Haft geschmuggelt werden. Es gehe ihm demnach körperlich schlecht, aber geistig sei er stark geblieben. Er lehnt jede Bitte um Gnade weiterhin ab.

taz: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie gehört haben, dass Poczobut den Sacharow-Preis erhält?

Wieliński: Ich war bewegt, aber nicht überrascht. Wir wussten, dass seine Nominierung diskutiert wurde, auch wenn wir keinen Einfluss auf die Abstimmung hatten. Es ist gut, dass Europa endlich auf seine direkte Nachbarschaft schaut. Der Preis zeigt, dass Andrzej nicht vergessen ist.

taz: Welche Rolle kann der Preis für eine mögliche Freilassung spielen? Es gab ja schon zwei gescheiterte Verhandlungen.

Wieliński: Der Preis erhöht den politischen Druck. Es laufen ständig Gespräche zwischen den Amerikanern und Lukaschenko über politische Gefangene. Trump nannte einmal die Zahl von 1.300 Gefangenen, und Lukaschenko weiß, dass diese Menschen seine „Währung“ sind. Er wird sie nicht alle auf einmal freilassen. Wir hoffen, dass Andrzej bei der nächsten Gelegenheit dabei ist. Der Preis hat seine Bedeutung und kann den Ausschlag geben, wenn dadurch internationaler Druck wächst.

taz: Was wünschen Sie sich von den polnischen Behörden?

Wieliński: Die letzte Regierung hat sich nicht genug um Verhandlungen bemüht. Wir hoffen, dass der internationale Druck jetzt dabei helfen kann, wieder aktiver zu werden. Man könnte zum Beispiel die einzige Eisenbahnstrecke zwischen Europa und China, die durch Belarus und Polen fährt, zeitweise schließen. Das würde Lukaschenko und seinen Verbündeten nicht gefallen.

taz: Wie gehen die Kolleginnen und Kollegen bei der Gazeta Wyborcza mit seiner Inhaftierung um?

Wieliński: Wir schreiben regelmäßig über ihn. Auf Seite zwei steht jeden Tag, wie lange Andrzej schon im Gefängnis sitzt, derzeit seit über 1.670 Tagen. Wenn es Neuigkeiten gibt, berichten wir sofort. Wir schreiben auch regelmäßig über die Repressionen gegenüber der Opposition in Belarus. Auch wenn das Thema für viele Leser nicht mehr im Mittelpunkt steht, ist es für uns eine moralische Pflicht, weiterzumachen.

taz: Was bleibt für Sie persönlich nach all den Jahren der Haft Ihres Kollegen?

Wieliński: Am Anfang dachten wir, es würde wie 2011 sein, als er ein paar Monate in Haft war und dann frei kam. Wir glaubten, das Außenministerium, internationale Organisationen, vielleicht die EU würden helfen. Wir waren überzeugt, dass man mit Druck aus dem Ausland etwas erreichen könnte. Ehrlich gesagt war das naiv. Niemand von uns konnte sich das Ausmaß der Repressionen vorstellen, das Belarus heute prägt. Doch Lukaschenko hat gezeigt, dass ihn nichts davon beeindruckt. Jetzt, nach mehr als vier Jahren, müssen wir einsehen, dass unsere Hoffnung damals viel zu optimistisch war. Aber trotzdem glaube ich, dass Andrzej durchhält. Er zeigt uns, was Mut wirklich bedeutet.

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