Assistenzen im Arbeitgebermodell: Senatsverwaltung erfolgreich besetzt
Aktivisten fordern die Umsetzung des Tarifvertrags für persönliche Assistenzen im Arbeitgebermodell. Der Senat zeigt sich kooperativ.
Als die Besetzer:innen am Donnerstag gegen 14 Uhr freiwillig das Gebäude der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung in der Oranienstraße 10 verlassen, werden sie von den Unterstützer:innen mit Applaus begrüßt. Die am Mittwochmittag gestartete Besetzungsaktion hielt überraschend lange. Rund 30 bis 50 Menschen mit Behinderung und deren Assistenzkräfte hatten einen Raum im Erdgeschoss der Behörde besetzt. Etwa 10 Personen waren laut Angaben der Besetzer:innen sogar über Nacht im Gebäude geblieben.
Mit der Aktion forderten die Aktivist:innen eine Umsetzung des Tarifvertrags für persönliche Assistenzen, direkt bei den Menschen mit Behinderungen angestellt sind. Assistenzen im Arbeitgebermodell verdienen derzeit deutlich weniger Geld als ihre bei freien Trägern und privaten Unternehmen angestellten Kolleg:innen. Das sogenannte Arbeitgebermodell ist eine Errungenschaft der Behindertenbewegung und wird von Assistenznehmer:innen bevorzugt, weil es ihnen ermöglicht, selbst zu bestimmen, welche Person sie betreut.
Am Vormittag, gegen 11 Uhr, stand die Situation kurz vor der Eskalation. Die Senatsverwaltung drohte mit Räumung und die Polizei rückte an. Vier Mannschaftswagen der Polizei positionierten sich vor dem Eingang des Gebäudes. Derweil trafen auch Unterstützer:innen der Besetzer:innen ein. Allerdings untersagten die Beamten jeden weiteren Zutritt zu dem Gebäude. Auch Pressevertreter:innen mussten, anders als im Vortag, vor dem Gebäude warten.
Der Konflikt hatte sich zugespitzt, weil der aktuelle Berliner Senat weigert, den zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und dem Arbeitgeberverband AAPA – Arbeitsgemeinschaft der behinderten Arbeitgeber*innen mit persönlicher Assistenz – geschlossenen Tarifvertrag anzuerkennen.
Plötzliche Einigung
„Bereits seit Februar 2025 bekommen die persönlichen Assistenzen im Arbeitgeber*innen-Modell 340 Euro im Monat weniger als bei Assistenzdiensten. Ab 2026 wird dieser Lohnunterschied nochmal deutlich größer“, so der Verdi-Sekretär Ivo Garbe.
Doch dann die Einigung: Im Gegenzug für Gespräche, unter anderem mit Finanzsenator Stefan Evers (CDU), verlassen die Besetzer:innen freiwillig das Senatsgebäude. Eine Delegation bricht zum Abgeordnetenhaus auf, der Rest wartet auf die Rückkehr. „Im Ergebnis wollen sich alle Parteien, die den Senat tragen, um die Finanzierung der persönlichen Assistenz bemühen“, fasst Assistenznehmerin Birgit Stengerer, die Teil der Delegation war, das Ergebnis des Gesprächs zusammen.
Verdi-Sekretär Ivo Garbe bestätigte, dass die CDU am Wochenende weiter beraten will. Zudem soll es ein weiteres Gutachten geben, in dem die rechtliche Lage erörtert werden soll. Für Klaus Drechsel, Mitglied der Verdi-Tarifkommission bei den ambulanten Diensten, ist das Agieren des Senats nur weitere Verzögerungstaktik: „Es gibt einen ausformulierten Tarifvertrag für die ambulanten Dienste, und der soll jetzt umgesetzt werden“, sagt der Gewerkschaftler. Auch zahlreiche Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung für Soziales wünschten auf den Protestierenden auf dem Weg in die Mittagspause viel Erfolg.
Birgit Stenger, Assistenznehmerin
Am kommenden Mittwoch wird ab 13.30 Uhr im Abgeordnetenhaus erneut über die Umsetzung des Tarifvertrages beraten. Die Assistenznehmer:innen und Unterstützer:innen haben schon ihr Kommen angekündigt. „Bleibt stark“, ruft Assistenznehmer Henni und reckt die Faust in die Höhe. „Die Auseinandersetzung ist noch nicht zu Ende“, sagt Stenger.
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