DIE VERLUSTE VON LABOUR SIND GUT FÜR DIE BRITISCHE DEMOKRATIE
: Segensreiche Vielfalt

In einem gewissen Sinne gab es bei Großbritanniens Parlamentswahl lauter Sieger. Die Labour-Partei errang zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen dritten Wahlsieg in Folge. Die Konservativen legten erstmals seit 1983 bei der Zahl ihrer Mandate deutlich zu. Die Liberaldemokraten hatten seit den 20er-Jahren nicht so viele Abgeordnete.

In einem anderen Sinne gab es lauter Verlierer. Labour hat mit rund 36 Prozent der Wählerstimmen den bisher geringsten Stimmenanteil eines britischen Wahlsiegers. Die Konservativen haben in Prozentzahlen kaum zugelegt. Die Liberaldemokraten haben den Durchbruch zur dritten Kraft nicht realisieren können. Die meisten britischen Politiker betonten in ihren ersten Worten in der Wahlnacht ihre Erfolge, während ihnen zugleich die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand.

Aber einige Fakten sind unumstößlich. Labour regiert weiter – aber mit einer stark geschrumpften Mehrheit. Premierminister Tony Blair kann nicht mehr gegen die eigene Partei regieren. Mit einem Wahlergebnis wie diesem hätte das Parlament weder den Irakkrieg noch Studiengebühren gebilligt. Schon überlegen Labour-Linke, wie sie sich organisieren sollen, um eine dauerhafte informelle Blockadefraktion aufzustellen.

Das andere markante Merkmal dieser Wahl: Die beispiellose regionale Auffächerung. Die Konservativen haben vor allem in London und Südengland zugelegt – als Vertreter der Gewinner eines Wirtschaftsbooms, der die Londoner Region zur reichsten Europas gemacht hat. Sie haben einen Teil des politischen Zentrums zurückerobert, das die Liberaldemokraten auf der Suche nach Protestwählern hinter sich gelassen haben. Die Liberaldemokraten erzielten ihre größten Erfolge links, und auch linke Kleinparteien haben gut abgeschnitten.

Eine landesweit geeinte Opposition gegen Blair gibt es auch nach dieser Wahl nicht. Aber es gibt jetzt für jeden mehr Möglichkeiten, Opposition auszudrücken. Großbritanniens Politik wird vielfältiger, lokaler und unübersichtlicher. Für Blair ist das schlecht. Für die britische Demokratie ist es gut. DOMINIC JOHNSON