wortwechsel: Wir leben in einer zynischen Realität
Eine Satire der taz Seite „die wahrheit“ über einen fiktiven Gaza-Erlebnispark in Deutschland hat große Empörung ausgelöst. Ein kritischer taz Kommentar greift die Empörung auf
„Rassistische Gedankenspiele. In einem satirischen Text entwirft ein taz Autor das Szenario eines „Gaza-Erlebnisparks“. Dabei bedient er rassistische Klischees und rechte Narrative“,
taz Kommentar vom 29. 9. 25
Welt als Erlebnispark?
Wer sind denn die üblichen Besucher von Erlebnisparks? Es sind die Menschen, die weltweit Urlaub machen und die die Orte, die sie besuchen, nicht als Realität, sondern als Erlebnispark wahrnehmen (es gibt schon lange geführte Spaziergänge durch Favelas). Diese Menschen würden auch einen Gaza-Erlebnispark bevölkern. Und was das Bedeutsame für sie dort sein würde: Sie dürfen das, was sie sonst schamhaft unterdrücken müssen, frei ausleben – ihren Judenhass. Deshalb ist die Antwort von „Marlene E. aus Wien“ in der Satire selbst treffend: „Mich faszinieren Krisen, aber mir als privilegierter weißer Person mit Reichweite ist es schlichtweg zu gefährlich, den Gazastreifen in echt zu bereisen. Hier bekomme ich den Nervenkitzel – ohne jedes Risiko.“
Ullrich Kamuf, Mühlheim am Main
Kommentare taz forum
Ich halte den Satiretext „Mit Gänsehaut auf die Geiselbahn“ für einen Ausdruck zunehmender Verzweiflung an den Zuständen in Gaza. Vielleicht hilft da nur noch galliger Humor.
Ja, Satire kann zu weit gehen, sie darf das sogar. Diese Wahrheitssatire tut es aber nicht. Sie führt Leser*innen vor Augen, dass mittlerweile auch dramatische Weltgeschehnisse von vielen Medien-„Konsument*innen“ als Entertainment und Event „wahrgenommen“ werden. Im Spiegel, den die taz Satire uns vorhält, sind die Menschen einfach zu krass ausgeleuchtet. Das sieht nicht schön aus.
Ich persönlich empfinde den Text nicht als rassistisch – dafür teilt er nach meinem Gefühl doch in so ziemlich jede Richtung aus – aber er ist ziemlich geschmacklos. Trotzdem hielte ich ein Verbot für überzogen, weil: Satire darf das und wir müssen es aushalten.
Das war ein Humor, der es sich einfach macht und auf die zielt, die eine Situation verbessern möchten und dabei einer Welt begegnen, die jegliche Solidarität und jedes Mühen aus der Perspektive eines Zynikers lächerlich und egozentrisch wirken lässt.
Der hier kritisierte Beitrag über den „Erlebnispark“ war keine Satire, da er die Ursünde beging, die ein Ausscheidungskriterium bildet: Der Beitrag trat nach unten – auf die Opfer in Gaza. Das Ehepaar, das seine Kinder so zum Antisemitismus erzieht – Satire. Der Joblose, der hier einen Job als Geiselnehmer gefunden hat – Satire.
Das Leid der Gaza-Opfer als Theater hinzustellen – keine Satire!!
Eine gewisse Tradition linker Satire ist es, dass sie sich nicht über die Schwachen lustig macht und die Starken zum Objekt ihres Spotts macht, die Erniedrigung der Schwachen bloßstellt. Im besten Fall legt linke Satire eine Spur in Richtung struktureller und systemischer Ursachen für Ungerechtigkeit.
Also, ich halte der taz seit über 25 Jahren die Treue – unter anderem wegen der Wahrheit und Beiträgen wie der Gaza-Park-Satire, die mich köstlich amüsiert und viele dunkle Flecken der Pali-Soli-Szene getroffen hat.
Eine böse Satire ganz gewiss, aber doch keine Boshaftigkeit gegenüber Palästinenser*innen in Gaza, sondern die Überspitzung des Handelns von hiesigen Anti-Israel-Demonstrant*innen. Ja, das schmerzt, aber das muss es auch, sonst wirkt es nicht.
Während wir im Westen in den rechtsextremen Faschismus rutschen und Flüchtlinge mittlerweile unbeachtet im Mittelmeer ertrinken, wird der Befreiungskampf zwar als Event simuliert und fetischisiert, aber er findet irgendwie nicht statt. Ich denke, diese vielen surrealen Widersprüche unserer Zeit wollte der Autor mit der Satire ausdrücken.
Die Satire ist ganz schön bissig und übertreibt maßlos. Beim Lesen musste ich heftig schlucken. Manchmal dachte ich aber auch: da ist schon mehr als ein Körnchen Wahrheit dran. Und vielleicht ist es gerade so eine Satire, die mir manches noch einmal krass bewusst gemacht hat.
Der Text hat mich aus meiner bequemen Denkhaltung herausgerissen und zum Nachdenken gebracht.
Die tatsächliche Schwäche der kritisierten Satire ist mangelnde Dynamik – und keine Pointe. Dass der Internetmob Satire nicht versteht und aufs Nahostthema anspringt – geschenkt. Dass Satire rassistische Klischees und Stereotype enthält und überspitzt – erwartbar. Dass mit plattesten Aufregern die Aufmerksamkeit eingefangen wird – gähn.
Es fehlt etwas an Schärfe, trotzdem sehe ich die Reproduktion rechter Narrative nicht, vielmehr deren Zuspitzung. All das funktioniert aber nur, weil die Realität eben zurzeit so grausam ist – diese Realität hat die wirklichen Aufreger verdient. Der kritische Kommentar zur Satire selbst geht eher am Thema vorbei. Es lohnt sich mehr, sich über Rassisten aufzuregen – als über die, die sie persiflieren (wenn mensch sich denn aufregen will).
Ich hab Chat-GPT gefragt. Chat-GPT schreibt über „Mit Gänsehaut auf die Geiselbahn“:
„Der Text zielt nicht darauf ab, Gaza oder die Palästinenser zu verspotten, sondern kritisiert vielmehr die Art und Weise, wie ihre Realität von einigen im Westen zum Spektakel gemacht wird.“
Ich selbst würde es tatsächlich noch ein bisschen schärfer formulieren: Der Satire-Text kritisiert, wie schmerzhafte Realität von einigen zu einem Spektakel voller (rassistischer) Stereotype gemacht wird. Ich empfinde das tatsächlich als bitter, dass wir an einem Punkt angekommen sind, wo K.I. die Aussagen von Satire anscheinend besser versteht als viele meiner Mitmenschen.
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