Goldabbau in Venezuela: Das Gift, das wir atmen
Im Süden Venezuelas sichert der Bergbau Tausende von Existenzen. Zugleich zerstört er sie langsam von innen und befeuert die Entwaldung.

„Ich bin José, 31 Jahre alt, habe eine schwangere Frau und zwei kleine Kinder. Seit meiner Jugend arbeite ich im Kleinbergbau, wie fast alle hier. Um mich herum gibt es mehr als 2.000 Mühlen, die fast das ganze Jahr über in Betrieb sind, außer wenn Regen oder Stromausfälle die Arbeit zum Erliegen bringen. Jede Mühle benötigt mit Quecksilber behandelte Kupferplatten – dieses Quecksilber, das Haut und Lunge angreift. Gebraucht werden auch Stangen zum Zerkleinern der Steine, Wasser zum Abtransport des Materials und Strom, um alles anzutreiben.“

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
Der Prozess ist so einfach wie tödlich: Das goldhaltige Material wird in Säcke gefüllt und mit Wasser und Quecksilber in einem sich ununterbrochen drehenden Metallzylinder gemahlen. Anschließend wird die Mischung über mit Quecksilber imprägnierte Platten geleitet, die das Gold auffangen. Diese Amalgammasse wird mit Spachteln abgekratzt und verbrannt, um das Edelmetall abzutrennen. Die Hitze verdampft das Quecksilber, das in einer dichten, schweren Wolke aufsteigt und in der Luft schwebt, die alle einatmen.
Das Quecksilber kennt keine Gnade
Toxikologen wie Yolangel Hernández vom Krankenhaus in Ciudad Guayana warnen, dass Quecksilber keine Gnade kenne: Es verursacht neurologische und Nierenschäden, extreme Müdigkeit, Zittern und kognitive Probleme, wobei Frauen und Kinder am anfälligsten sind. Doch in den Dörfern im Süden Venezuelas, in denen Gold abgebaut wird, ist es üblich, Kinder in der Nähe von Mühlen mit kontaminierten Eisenplatten oder Behältern mit flüssigem Quecksilber spielen zu sehen oder jemanden sagen zu hören, er habe „Parkinson“.
„Jahrelang habe ich mir bei der Arbeit den Mund nur mit einem alten Lappen bedeckt. Bis zu 60 Platten pro Tag habe ich bearbeitet, viermal pro Woche. Mit der Zeit habe ich mir eine industrielle Atemschutzmaske besorgt. Aber trotzdem bekam ich Zittern, kalten Schweiß, seltsame Schlaflosigkeit und Gedächtnislücken.“

Zur Entfernung des im Körper angesammelten Quecksilbers dient die medizinische Chelattherapie. Dabei werden Substanzen eingesetzt, die sich mit den im Körper vorhandenen Schwermetallen verbinden und deren Ausscheidung über den Urin erleichtern – ein komplexes und kostspieliges Verfahren, zu dem nur wenige in diesen Gemeinden Zugang haben. Die lokalen Gesundheitszentren verfügen seit Jahren nicht über die Mittel, um Vergiftungen zu diagnostizieren – und um eine geeignete öffentliche Einrichtung in Anspruch zu nehmen, muss man mehr als sieben Stunden mit dem Auto fahren.
Die Produktion ist unbeständig
Viele Bergleute leben darum ohne angemessene Versorgung mit den Folgen der Vergiftung. In den ärmsten Gegenden greifen einige zu Aufputschmitteln und Drogen, um während der langen Arbeitstage aktiv und wach zu bleiben. Das ist keine einfache Entscheidung, sondern eine alltägliche Realität, die mit der harten Arbeit und der sozialen Notlage zusammenhängt.
„Jeder behandelt sich selbst oder arbeitet einfach weiter, bis er nicht mehr kann. Letztendlich ist das Quecksilber überall: im Wasser, das wir trinken, in den Fischen, die wir essen, in den Böden, die wir bepflanzen … Ein ganz normaler Tag in El Callao kann 90 Dollar einbringen, wenn man Gold mahlt. Das habe ich gestern verdient, als ich von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr abends gearbeitet habe. Manchmal können wir mit der ganzen Ausrüstung bis zu 5.000 Dollar verdienen, wenn das Gold gut ist, aber meistens ist es wie russisches Roulette: Die Produktion ist unbeständig und die Not drängt. Die galoppierende Inflation, die Krise der Versorgungsbetriebe und die wirtschaftliche Unsicherheit machen es aber unmöglich, an eine Alternative zu denken.“
Jüngste Berichte von SOS Orinoco bestätigen, dass Venezuela zwischen 2000 und 2020 mehr als 790.000 Hektar Wald verloren hat und dass davon allein im „Arco Minero“ rund 520.900 Hektar abgeholzt wurden, der größte Teil davon für den Goldabbau. Die Auswirkungen sind zudem keinesfalls nur lokal: Sie entsprechen Millionen Tonnen freigesetztem CO₂, was den Klimawandel weltweit beschleunigt. Um den Bergbausektor zu organisieren, hat der Staat die Corporación Venezolana de Minería, die Venezolanische Bergbaugesellschaft, gegründet – und bereits vor zehn Jahren auch Umweltmanagementpläne versprochen.

Der Traum vom Weggehen
„In der Praxis haben aber die Besitzer der Mühlen weiter das Sagen. Sie legen Preise und Bedingungen fest, verteilen die Gewinne oder lassen einen mit leeren Händen zurück, wenn es keine Produktion gibt. Angesichts einer nach Jahren der Hyperinflation, ständiger Abwertung, zusammengebrochener öffentlicher Dienste und Mindestlöhnen von knapp zwei Dollar ist der Bergbau der einzige Ausweg, auch wenn man weiß, dass er einen umbringt.“
José hat einmal versucht wegzugehen und sich dafür weit weg ein Haus gekauft. Er träumte von einem festen Job und von ruhigen Wochenenden, die er mit seinen Kindern verbringen wollte. Doch es kam anders.
„Ich habe das nur drei Jahre ausgehalten, die Liebe zur Heimat und die Not haben mich zurückgebracht. Dieses Dorf hier, das weder Parks noch Plätze hat, dafür Häuser am Rande staubiger Straßen und Windräder, die die Luft verschmutzen, das ist meine Heimat. Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, und hier werde ich bleiben, solange ich kann.“
Liliana Rivas ist eine Journalistin aus Venezuela. Sie schreibt u.a. für das Onlinemagazin Mongabay. Der vorliegende Text wurde mit Hilfe des Kleinbergbauarbeiters José Agosto aus El Callao verfasst.
Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz
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