: „Wissenschaftler sollten gewarnt sein“
FORSCHUNG Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus kritisiert die Interpretation von Muslim-Studien
■ Die promovierte Islamwissenschaftlerin leitet an der Universität Kopenhagen ein Forschungsprojekt, das alle Studien über Muslime vergleicht, die seit dem Jahr 2000 in Westeuropa erstellt wurden. 2011 erschien ihr Buch „Wer ist hier Muslim?“ (Ergon-Verlag).
INTERVIEW DANIEL BAX
taz: Frau Spielhaus, eine Studie über Muslime hat für Wirbel gesorgt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte sie in Auftrag gegeben. Zunächst nutzte er sie in der Bild- Zeitung, um vor radikalen Muslimen zu warnen. Später stellte sich heraus, dass die Zahlen, auf die er sich berief, gar nicht repräsentativ waren. Hat Sie dieser schlampige Umgang mit wissenschaftlichen Daten überrascht?
Riem Spielhaus: Nein. Die Ministerien suchen mit solchen Studien gerne die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit, um ihre Politik zu legitimieren. Deshalb muss man als Wissenschaftler darauf achten, in welchen politischen Kontext man seine Arbeit stellt.
Die Autoren der Studie sind jetzt entrüstet und verzweifelt, wie sehr ihre Forschungsergebnisse verzerrt wurden. Sollte man als Wissenschaftler besser keine Aufträge von Ministern annehmen?
Es stellt die Wissenschaftler jedenfalls vor ein Dilemma, denn man möchte natürlich Einfluss haben, auch auf politische Entscheidungen. Andererseits werden solche Studien von Institutionen beauftragt und finanziert, die bestimmte politische Interessen haben. Da stellt sich die Frage, wie unabhängig eine solche Forschung überhaupt sein kann.
Was halten Sie denn von der Studie, um die es jetzt geht?
Als großes Manko scheint mir, dass hier – wie in vielen anderen Studien – Muslime und Migranten gleichgesetzt und wie Synonyme behandelt werden. Die Unterschiede werden kaum reflektiert. Diese Unschärfe zeigt sich etwa dann, wenn die befragten Muslime nach ihren Kontakten „zu Deutschen“ und „zu Muslimen“ befragt werden – was ja nahelegt, dass Muslime selbst keine Deutschen sein können.
Was wäre richtig?
Der Islam ist in erster Linie eine Religion. Die Frage, ob Muslime sich integrieren wollen, unterstellt, dass sie das potenziell noch nicht sind. Und wenn es um Radikalisierung geht, dann zeigen die jüngsten Berichte der Sicherheitsbehörden doch, dass die größte Gefahr gerade von nichtmuslimischen Jugendlichen ausgeht, die sich radikalisieren und dem Islam zuwenden. Sie sind die größte Risikogruppe – aber in dieser Umfrage wird sie kaum berücksichtigt. Das Problem wird bei den Einwanderern verortet.
Für Aufregung sorgte vor allem der Befund, laut dem sich ein Viertel der Befragten mit deutschem Pass und fast die Hälfte der nichtdeutschen Muslime nicht integrieren wollen. Was halten Sie davon?
Wie Integration definiert wird, scheint mir stark auf Aspekte der Akkulturalisierung verkürzt zu sein: vom Gefühl, dazuzugehören und „deutsch“ zu sein. Das Dilemma vieler Migranten ist aber: Was gebe ich auf, wie viel bewahre ich. In der Studie scheint das klar bewertbar zu sein: Assimilation ist gut. In der Lebensrealität stellt sich das viel ambivalenter dar.
Ist die Zahl nicht dennoch hoch?
In der medialen Skandalisierung ist die genaue Zahl letztlich unwichtig. Egal, wie hoch sie am Ende ist – sie ist immer zu hoch. Relevant ist die Frage, die in der medialen Aufbereitung meist affirmativ bestärkt wird: Wir müssen Muslime offensichtlich immer wieder fragen, wie sie zu Gewalt gegen Frauen, zu Homosexuellen und Juden oder zu Demokratie und Menschenrechten stehen. Damit wird ständig ein Bezug zwischen Muslimen und etwa Antisemitismus und Homophobie hergestellt. Und die Relevanz dieser Frage wird durch jede neue Studie bestätigt – auch wenn die Ergebnisse, wie hier, gar nicht so stark vom gesellschaftlichen Durchschnitt abweichen.
Sie haben europaweit über 50 wissenschaftliche Studien über Muslime verglichen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Zunächst einmal hat sich die Kategorie Muslim erst seit dem Jahr 2000 in der Forschung etabliert, indem Muslime als Gruppe zum Forschungsobjekt gemacht wurden. Die meisten Studien legen dabei einen starken Fokus auf Radikalisierung, Sicherheit und Integration. Religiöse Praxis wird fast ausschließlich auf sichtbare Zeichen reduziert: Kopftuch, fasten, in die Moschee gehen. Das spiegelt die öffentlichen Debatten wieder, die um Andersartigkeit und Sichtbarkeit der Muslime kreisen.
Welche Themen fehlen?
Nach Glauben und Spiritualität wird selten gefragt: Gibt mir die Religion Kraft? Glaubt man an Gott? Auch die innermuslimische Debatte, etwa zur Scharia als Ethik, wird kaum abgebildet: Wie viele sehen die Scharia als ethische Richtschnur – und wie viele hängen extremistischen Deutungen an? Stattdessen werden Stereotype abgefragt. Die meisten Studien, so auch diese, stammen aber auch nicht von Islamwissenschaftlern – sondern, wie hier, von Psychologen, Kriminologen oder Migrationssoziologen. Das merkt man ihnen an.
Welche Studie gibt es noch gar nicht?
Es gibt zum Beispiel noch keine Studie von offizieller Seite, die das Tragen eines Kopftuchs mit Bildungserfolg oder Barrieren auf dem Arbeitsmarkt in Zusammenhang bringt. Diskriminierung wird überhaupt nur selten thematisiert.
In der nun diskutierten Studie ist Diskriminierung schon ein Thema …
Ja, aber nur mit Blick auf die Gefahr einer Radikalisierung. Das ist typisch. Diskriminierung als solche scheint weniger als Problem empfunden zu werden – denn wenn man gegen sie vorgehen wollte, müsste man anders fragen. Es gibt ja verschiedene Formen der Diskriminierung – nicht nur, wie hier gefragt, aufgrund der Herkunft, sondern auch aufgrund der Sichtbarkeit der Religion. Auch wäre interessant zu wissen, ob sich die Opfer alleingelassen oder von der Gesellschaft unterstützt fühlen. Grundsätzlich aber stellt sich die Frage: Warum fragt man überhaupt nach Muslimen?
Wieso ist das ein Problem?
Dieses ständige Befragtwerden führt erst dazu, dass sich viele als Muslime verstehen. Für die Wissenschaft heißt das: Beschreiben wir hier eine bestehende Gruppe? Oder schaffen wir sie erst, indem wir sie als solche untersuchen? Und wer fällt aus den Blickfeld? Ägyptische Kopten, türkische Christen und Juden, aber auch katholische Italiener und Spanier haben oft ähnliche Probleme wie Muslime. Sie werden nur nicht so stark wahrgenommen – dafür werden sie aber auch nicht mit solchen Stereotypen belegt.
Welche Folgen hat die Ausrichtung solcher Studien?
Zunehmend verweigern sich Muslime solchen Umfragen und Studien, sodass Forscher schon von research fatigue, von Forschungsmüdigkeit sprechen. Viele Befragte haben ja die Hoffnung, Gehör zu finden, wenn sie sich an solchen Studien beteiligen. Aber wenn diese Erwartung immer wieder enttäuscht wird, weil die Ergebnisse entstellt werden, entziehen sie sich.