Kabinettsumbau in der Ukraine: Logisch, aber mit Geschmäckle
Die De-facto-Absetzung des Regierungschefs Schmyhal ergibt Sinn. Doch damit wird die Macht weiter auf das Präsidialamt konzentriert.

E s gibt sie noch – die Nachrichten aus der Ukraine jenseits von Schützengräben, Frontverläufen sowie den täglichen Meldungen über Tote und Verletzte als Folge russischen Dauerbeschusses. Was sich andeutete, hat Präsident Wolodymyr Selenskyj jetzt durchgezogen; er hat nun zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres seine Regierung aufgemischt. Erinnert sei an Ex-Außenminister Dmytro Kuleba, der im vergangenen Herbst politisch aufs Abstellgleis geschoben wurde. Bei der jüngsten Rochade trifft es jetzt auch Ministerpräsident Denys Schmyhal, der diesen Posten rekordverdächtige fünf Jahre innehatte und jetzt Verteidigungsminister werden soll.
Über die Gründe für diesen Schritt lässt sich nur mutmaßen. Klar scheint zu sein, dass das Stühlerücken in Zusammenhang mit den US-amerikanischen Beziehungen zu sehen ist. Diese, zumindest hat es derzeit den Anschein, sind nach dem Eklat bei dem Treffen zwischen Selenskyj und Donald Trump im vergangenen Februar im Weißen Haus auf dem Wege der Besserung. So wirkte Schmyhals Nachfolgerin, Julija Swyrydenko, maßgeblich an der Aushandlung des Rohstoffdeals mit. Und der neue ukrainische Botschafter in den USA und vormalige Verteidigungsminister Rustem Umerow war an den beiden diesjährigen sogenannten Verhandlungsrunden mit Vertretern Russlands in Istanbul beteiligt.
So logisch die Kabinettsumbildung vor diesem Hintergrund sein mag, so sehr hat sie auch ein Geschmäckle. Zwar hat das Parlament erst unlängst wieder das Kriegsrecht verlängert, dennoch ist Selenskyjs Vorgehen angesichts der geltenden Verfassung und Gesetzeslage juristisch anfechtbar. Selbst in Zeiten eines brutalen russischen Angriffskrieges ist das mehr als eine Petitesse.

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Ob die neue Regierung etwas bewegen kann, ist schwer zu sagen. Fakt jedoch ist: Die Position des Präsidialamtes, wo sich sich bereits eine große Machtfülle konzentriert, wird gestärkt. Das dürften auch die Ukrainer*innen, allen kriegsbedingten Alltagssorgen zum Trotz, aufmerksam registrieren.
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