taz Panter Preis für Erfurter Kulturhaus: Irre Idee, alle dafür
Bei der taz Panter Preis Verleihung in Bochum gewinnt mit dem Erfurter Kulturhaus eine Genossenschaft. Das Konzept: Mitgestalten statt meckern.

„Die sind ja irre – da muss ich dabei sein!“, hätten Menschen über das Erfurter Kulturquartierprojekt bei dessen Gründung gesagt, berichtet Tely Büchner vom Vereinsvorstand. Mittlerweile sind über 1.000 Genossenschafter von der Idee angesteckt worden, das seit 2003 geschlossene Schauspielhaus zum Kulturquartier umzubauen.
Dafür bekamen sie am Samstag in Bochum den mit 5.000 Euro dotierten Preis der taz Panter Stiftung für zivilgesellschaftliches Engagement. Eine Mehrheit der 6.500 online Abstimmenden favorisierte die beispiellose Erfurter Initiative.
Tely Büchner und Mitstreiter Thomas Schmidt verharrten nach der Bekanntgabe lange sprachlos und mit bewegtem Gesicht, ehe Schmidt den Preis verbal an alle Mitstreiter für das Projekt weiterreichte. Die Initiative könne „modellhaft für andere Städte“ stehen.
Am Anfang, sagt Büchner, habe das Bedürfnis nach einem Ort des Austausches und der kulturellen Begegnung gestanden. Sie ist die Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Erfurter Stadtrat und berichtet von einem Kulturcafé, das in ihrem Umfeld gegründet wurde. Die gute Resonanz verlangte nach mehr, und ab 2011 galt die sogenannte Defensionskaserne auf dem Petersberg als Wunschobjekt. Die alte Festung liegt neben dem imposanten Ensemble von Dom und St. Severi in Erfurt und war 2021 Zentrum der Bundesgartenschau.
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Dem ehrgeizigen Projekt fehlten im Stadtrat nur zwei Stimmen. Nun kann man die thüringische Landeshauptstadt nicht als kulturelle Diaspora bezeichnen. Aber der Drang nach einem „Ort, wo viele verschiedene Akteure zusammenkommen und mitgestalten“, wie Tely Büchner sagt, trug weiter. Das geschlossene Schauspielhaus geriet in den Focus.
Erste Kulturgenossenschaft Thüringens
2015 stimmte der Stadtrat nunmehr einstimmig dafür, dem Kulturquartierverein die Entwicklung eines Nutzungs- und Betreiberkonzepts zu übertragen. Ein Jahr später gründete sich im Festsaal des Rathauses die erste Kulturgenossenschaft Thüringens.
Die eigentliche Sensation kam 2020 mitten in der Coronapandemie. Die Genossenschaft konnte Haus und Grundstück kaufen, obschon sich die Stadt als Eigentümer keineswegs kulant zeigte. Eine satte Million Euro Eigenanteil begünstigte den ersten Sparkassenkredit. Mit dem Hauskauf schnellte die Zahl der Genossenschafter in eine vierstellige Höhe. Nach Erstellung eines Businessplans gab es Ende 2024 den zweiten Kredit für den eigentlichen Ausbau.
Und der verlangt allein schon des Brandschutzes und der Besuchersicherheit wegen professionelle Gewerke. Überdies hatte die Stadt das vor 130 Jahren im neobarocken Stil errichtete Gebäude völlig aufgegeben und sogar Strom und Wasser abgeklemmt.
Der große Saal bietet allein 400 Plätze. Die Partner vom Tanztheater Erfurt e. V. und vom Kinoklub bekommen eigene Räume und Eingänge, ebenso der Bürgersender Radio FREI. Finanziell steht das Kulturquartier nicht allein. Vom Bund und der Kreditanstalt für Wiederaufbau gibt es eine halbe Million für die denkmalgerechte Sanierung. Die Förderung durch das Programm „Übermorgen“ des Bundeskulturministeriums ist gesichert. Bei einem weitern Förderprogramm zittert man noch, solange der Bundeshaushalt nicht beschlossen ist.
Das Kulturquartier stehe nicht demonstrativ gegen reaktionäre Tendenzen, sehr wohl aber gegen die Legende, man könne seine Meinung nicht mehr sagen und nicht mitgestalten, erklärt Tely Büchner. Läuft der Ausbau weiter, könnten erste Teilbereiche im kommenden Jahr und das gesamte Haus Mitte 2027 eröffnet werden.
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