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Archiv-Artikel

DIE REGIERUNG WIRD MIT VIEL RAFFINESSE DEN VERBRAUCHER BELASTEN Nach dem großen Ausverkauf

Der Staat ist pleite. Geschätzte 66,8 Milliarden Euro werden in den nächsten vier Jahren bei den Steuern fehlen. Gleichzeitig explodieren die Ausgaben; so dürften die Arbeitsmarktreformen 2005 für den Bund bis zu zehn Milliarden Euro teurer werden als geplant. Das sind spektakuläre Zahlen, aber bedeuten sie etwas? Schließlich ist das Ritual nicht neu. Vor genau einem Jahr kam die Steuerschätzung auch schon zu dem Ergebnis, dass bis 2007 rund 61 Milliarden Euro weniger eingenommen würden.

Doch trotz der ewigen Wiederholung tut sich Neues. Bisher konnten die Defizite noch begrenzt werden, indem fantasievoll nach Restposten im Bundesbesitz gefahndet wurde, die sich verschleudern ließen. So könnten demnächst die Forderungen der Mittelstandsbank versilbert werden. Dennoch ist das Vermögen des Bundes endlich – und das Ende absehbar.

Es wird spannend. Was etwa passiert mit der Körperschaftsteuer, die von 25 auf 19 Prozent gesenkt werden sollte? Scheitert diese Reform am Geldmangel? Vielleicht, aber nicht so direkt. Es ist nicht vorstellbar, dass Kanzler und Opposition diese Steuerreform auf einem „Jobgipfel“ verkünden – um sie dann wenig später fallen zu lassen. Da ist ein wenig mehr Raffinesse gefragt. Ein Szenario hat der Kanzler bereits rhetorisch angelegt: Niedrigere Steuersätze gibt es nur, wenn die Gegenfinanzierung klappt und also die Firmensubventionen sinken. Bisherige Erfahrungen sprechen nicht dafür, dass diese Kürzung gelingt. Aber dann, wie schön, gibt es einen Schuldigen für die ausbleibende Unternehmensteuerreform. Wahlweise wären es die Union im Bundesrat oder die Firmen. Beides passt ins Weltbild der SPD-Basis.

Eine zweite Reaktion auf die Haushaltsdefizite ist ebenfalls absehbar: Trotz aller Dementis dürfte die Mehrwertsteuer steigen. Damit hätte Rot-Grün Gerechtigkeit neu definiert. Erst wurden Spitzenverdiener und Konzerne in den letzten Jahren massiv entlastet – um anschließend alle Konsumenten stärker zu belasten. Aus dieser eigenartigen Umverteilung könnten Zyniker allerdings einen Trost ziehen: Selbst in Zeiten der Pleite ist der Staat noch handlungsfähig. ULRIKE HERRMANN