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Archiv-Artikel

Durchbruch vor WTO-Gesprächen

Einigung auf Leitfaden für die nächste Verhandlungsrunde im sensiblen Agrarsektor. EU stimmt zu, für große Argarhandelsländer ihre Zölle auf Prozentbasis umzurechnen

BERLIN taz ■ Die Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) haben eine möglicherweise entscheidende Hürde auf dem Weg zu einem neuen Welthandelsabkommen genommen. Sie erzielten eine grundsätzliche Einigung, die den Boden für Zollsenkungen im besonders sensiblen Agrarsektor bereitet. „Kein Land widersprach dem vorgeschlagenen Leitfaden“, hieß es am Dienstag im Genfer WTO-Hauptquartier – und das ist in einer Organisation, in der keine offiziellen Abstimmungen stattfinden, schon ziemlich viel.

Am 30. Mai soll die nächste Agrarverhandlungsrunde losgehen. Doch bevor dort überhaupt nur über die Formel verhandelt werden kann, nach der die Zollsenkungen letztlich vorgenommen werden sollen, muss erst noch geklärt werden, von welchen Zöllen man eigentlich spricht.

Der im vergangenen Juli getroffenen Rahmenvereinbarung zufolge sollen die höchsten Zölle am drastischsten gesenkt werden. Dies würde die Entwicklungsländer besonders stark betreffen. Denn viele von ihnen schützen sich mit hohen Zöllen vor Importfluten aus dem Ausland, um ihre Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern.

Zwar ist klar, dass auch die Industrieländer hohe Zollmauern um ihre meist hoch subventionierten Agrarsektoren errichtet haben – wie hoch diese genau sind, ist jedoch oft hinter einer komplizierten Mischkalkulation versteckt.

So erhebt die Europäische Union (EU) beispielsweise auf Rindfleisch zwar nur einen scheinbar relativ geringen Zollsatz von 13 Prozent. Aber hinzu kommen je nach Fleischqualität noch Stückzölle von über 300 Euro für 100 Kilo. Würde man diese auch noch in Prozentzölle umrechnen, käme man auf prohibitiv hohe Zollsätze von rund 190 Prozent. Zu Recht fordern die Entwicklungsländer daher nun eine einheitliche Bemessungsgrundlage, damit sie nicht Gefahr laufen, als Einzige die Zölle spürbar senken zu müssen.

Doch der Teufel steckt im Detail. Wie etwa soll bei täglich schwankenden Preisen und unterschiedlichen Qualitäten von Agrarprodukten überhaupt der Warenwert ermittelt werden, auf den sich der Prozentsatz bezieht? Auf einen EU-Vorschlag über eine einheitliche Berechnungsmethode hatte sich in der vergangenen Woche eine kleine Handelsministerrunde in Paris geeinigt. Bis 20. Mai sollen zumindest die großen Agrarhandelsländer ihre Zölle auf Prozentbasis umrechnen.

Er habe eingesehen, dass die Verhandlungen eine „Starthilfe“ bräuchten, erklärte US-Handelsbeauftragte Robert Portman die Einwilligung seiner Regierung. Die EU verspricht sich anscheinend so große Vorteile von einem neuen Welthandelsabkommen und besserem Marktzugang auch zu Entwicklungsländern, dass auch sie über ihren Schatten sprang – obwohl der Kompromiss möglicherweise zu Lasten von europäischen Landwirten geht, die sich mit einem weiter gehenden Abbau von Schutzzöllen abfinden müssen. WTO-Chef Supachai Panitchpakdi hatte zuvor gewarnt, die Verhandlungen über ein neues Welthandelsabkommen stünden „kurz vor einer Krise“.

Eigentlich hätte die so genannte Doha-Verhandlungsrunde schon 2004 abgeschlossen sein sollen. Sie scheiterte jedoch am Widerstand der Entwicklungsländer gegen die Politik des Nordens.

Nach Schätzungen der Weltbank würde der Handelsschub, den ein neues Welthandelsabkommen auslösen würde, das Sozialprodukt weltweit um 500 Milliarden Dollar pro Jahr steigern. Viele Entwicklungsländer würden von besseren Chancen profitieren, ihre Agrarprodukte auf die Märkte der Industrieländer zu exportieren – vorausgesetzt, diese bauten ihre hohen Zollmauern ab.

Doch zugleich birgt ein neues Handelsabkommen auch hohe Risiken für die Entwicklungsländer. Sie wollen sich Schutzmöglichkeiten für ihre eigenen Agrarmärkte vorbehalten, um gegen die übermächtige Konkurrenz der subventionierten Landwirtschaft des Nordens bestehen zu können. Auch darum wird es ab 30. Mai gehen. NICOLA LIEBERT