„Ein Schlag ins Gesicht“

WASSER Gerhard Seyfarth vom Berliner Wassertisch erklärt, warum ein Jahr Volksgesetz kein Grund zur ungetrübten Freude ist: Der Verein glaubt, dass noch viel im Dunkeln liegt

■ 62, ist Softwareentwickler und einer von sieben Sprechern der Initiative Berliner Wassertisch (berliner-wassertisch.net).

INTERVIEW JOHANNES KULMS

taz: Herr Seyfarth, ist dieser Tag für den Berliner Wassertisch einer zum Feiern?

Gerhard Seyfarth: Im Prinzip ja. Weil ab heute alle Dokumente zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe ungültig sind, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden.

Wurde denn nicht alles offengelegt?

Wir glauben, nein. Bereits im vergangenen Sommer haben wir allen Fraktionen im Abgeordnetenhaus eine Liste übermittelt, auf der stand, was nach unserer Ansicht nach noch nicht offengelegt worden ist. Und im Sonderausschuss gibt es bisher immer nur die Formulierung, dass nach bestem Wissen und Gewissen alles veröffentlicht worden sei. Damit können wir uns nicht zufrieden geben.

Wo erwarten Sie denn noch Informationen?

Es geht um Informationen, die bei allen Geschäften dieser Größenordnung vereinbart werden. Etwa eine Inventarliste. Wenn ich etwas kaufe, bekomme ich immer eine, egal ob ich jetzt eine ganze Siedlung kaufe oder eine einzelne Wohnung. Es fehlen auch die Pläne der Wasserbetriebe zur Umsetzung der europäischen Wasser-Rahmenrichtline.

Die privaten Anteilseigner RWE und Veolia haben am Montag Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ist die Überprüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht sinnvoll?

Halb und halb. Einerseits bekommt man nun Rechtssicherheit. Auf der anderen Seite ist diese Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein Schlag ins Gesicht der 666.000 Menschen, die beim Volksentscheid für das Gesetz gestimmt haben. Und es kann natürlich nicht sein, dass unsere Landesregierung so einen beträchtlichen Vorrat von Geheimdokumenten zurückhält.

RWE und Veolia sagen, das Gesetz schränke Grundrechte ein: Man könne nicht gezwungen werden, alle Briefe und Mails zu veröffentlichen …

Zum einen verlangt ja unser Gesetz, dass die Namen von Personen geschwärzt werden. Außerdem obliegt die Entscheidung darüber dem Landesdatenschutzbeauftragten. Es geht nicht um persönliche Geheimnisse, sondern darum, die Einzelheiten der Teilprivatisierung offenzulegen.

Glauben Sie, RWE und Veolia kommen damit durch?

Nein. Wir sehen sehr gute Chancen für uns. Das Berliner Landesverfassungsgericht hat bereits in zwei Urteilen dargelegt, dass die Wasserversorgung in einen zentralen Bereich der Daseinsvorsorge fällt. Das erhöhte Interesse der Öffentlichkeit an den Details sei daher gerechtfertigt. Wenn das Bundesverfassungsgericht dieser Sichtweise folgt, werden Veolia und RWE eine Niederlage erleiden.

Letzten Herbst haben einige Mitglieder den Wassertisch in Richtung „Wasserbürger“ verlassen. Arbeiten Sie mit denen eigentlich zusammen?

■ Im Oktober 2011 – ein Dreivierteljahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid über die Offenlegung der Wasserverträge – eskalierten beim „Berliner Wassertisch“ die Konflikte. Am Ende wechselte ein Teil der Mitglieder zu den „Berliner Wasserbürgern“, einer bereits bestehenden Initiative.

■ Der Wassertisch begründete den Bruch mit nicht vorhandener Teamfähigkeit. Der zu den Wasserbürgern gewechselte Thomas Rudek betonte im Oktober 2011, eine Spaltung der Initiativen sei nicht das Ziel gewesen. Er hält dem Wassertisch mangelnde Transparenz und eine „totalitäre Praxis“ vor.

■ Die Wasserbürger fordern ein Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Auch Gerhard Seyfarth würde diesen Weg befürworten, falls der Sonderausschuss „im Sande verliefe“.

Mit den Wasserbürgern gibt es gar keine Zusammenarbeit. Beim Wassertisch in der Muskauer Straße, einer weiteren Abspaltung, gab es einen Gesprächsversuch. Der wurde aber von der anderen Seite an Vorbedingungen geknüpft, sodass es jetzt keine Gespräche gibt.

Aber verfolgen denn die Wasserbürger nicht die gleichen Ziele wie der Wassertisch? Nur vielleicht auf einem anderen Weg?

Es geht um etwas Grundsätzlicheres: um die Frage der Demokratie innerhalb einer Organisation. Und um die Verantwortlichkeit der Sprecher der Bürgerinitiative. Es kann nicht sein, dass die Mitglieder aus den Zeitungen erfahren, was als Nächstes geplant ist. Genau das war leider nach dem Volksentscheid der Fall. Wir haben im April 2011 ein neues Sprecherteam gewählt, und mein Eindruck ist, dass der Wassertisch mit ihnen gut gefahren ist. Wir brauchen uns nicht mehr intern zu streiten, wir streiten uns lieber mit RWE und Veolia.

Aber sonst begrüßen Sie die Gründung neuer Initiativen?

Auf jeden Fall. Insbesondere begrüßen wir das, wenn diese Initiativen versuchen, mittels Volksbegehren die Senatspolitik eben nicht in die Richtung einer weiteren Privatisierung zu lenken, sondern weg von der Privatisierung. Bisher kann man sagen, dass die Privatisierung der Strom- und Gasversorgung in Berlin sich für private Unternehmen als Goldgrube erwiesen haben. Da denken wir, dass damit Schluss sein muss. Dass es da besser wäre, wenn der Landeshaushalt davon stärker Gewinn zieht – und damit die Bürger.