„Weder Ochs noch Esel“

CHRONIK Im August wird die Ständige Vertretung geschlossen, Ungarn macht die Tore auf

1. August 1989, Ostberlin: Das ZK der SED legt einen Entwurf vor, die Bekämpfung „feindlicher, oppositioneller Zusammenschlüsse“ zu verschärfen. Darunter fallen auch Heavy-Metal-Musikgruppen.

5. August, Ostberlin: Die DDR-Regierung gibt im Fernsehen das Flüchtlingsproblem zu.

8. August, Ostberlin: Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, die von rund 130 DDR-Bürgern besetzt ist, wird geschlossen. Es folgen die Schließungen der Botschaften in Budapest und Prag, in denen sich 171 bzw. 140 Fluchtwillige aufhalten. Kanzleramtsminister Rudolf Seiters appelliert an DDR-Bürger, nicht den Weg über diplomatische Vertretungen der Bundesrepublik zu gehen.

9. August, Berlin: Bärbel Bohley, Bürgerrechtlerin der „Initiative Frieden und Menschenrechte“, fordert im taz-Interview Reisefreiheit für die DDR-Bürger.

14. August, Erfurt: Bei der Übergabe des 32-Bit-Mikroprozessors im Erfurter Kombinat Mikroelektronik erklärt Erich Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“

19. August, Budapest/Wien: Das Demokratische Forum und weitere Oppositionsgruppen in Ungarn rufen zu einem „paneuropäischen Picknick“ an der ungarisch-österreichische Grenze auf. Mehr als 600 DDR-Bürger stürmen durch ein nur angelehntes Grenztor nach Österreich.

21. August, Prag: Bei Demos in Prag anlässlich des 21. Jahrestages der Niederschlagung des Prager Frühlings werden hunderte Menschen verhaftet.

22. August, Wien: Ein DDR-Bürger wird bei einem Fluchtversuch von einem ungarischen Grenzposten erschossen.

24. August, Bonn, Warschau: DDR-Bürger aus der Budapester Botschaft werden in die Bundesrepublik ausgeflogen. In Polen wird Solidarność-Mitbegründer Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten gewählt.

25. August, Bonn: In Bonn kommen der ungarische Außenminister Gyula Horn mit Kanzler Helmut Kohl zu einem Geheimtreffen auf Schloss Gymnich zusammen. Der Ungar eröffnet das Gespräch mit den Worten: „Herr Bundeskanzler, Ungarn hat sich entschieden, den DDR-Bürgern die freie Ausreise zu erlauben. Wir haben uns dazu vor allem aus humanitären Gründen entschieden.“ Kohl verspricht im Gegenzug Kredite über 500 Millionen DM.

26. August, Ostberlin: Eine Gruppe, zu der Martin Gutzeit, Markus Meckel, Arndt Noack und Ibrahim Böhme gehören, ruft zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei auf.

29. August, Ostberlin: Auf einer SED-Politbüro-Sitzung herrscht Ratlosigkeit, wie mit der Flüchtlingskrise umgegangen werden soll. Günter Mittag führt aus: „Ich möchte auch manchmal den Fernseher zerschlagen, aber das nützt ja nichts.“

31. August, Ostberlin: Der ungarische Außenminister Horn kündigt in Ostberlin an, dass Ungarn alle DDR-Flüchtlinge im September ausreisen lassen wird. Der DDR-Ministerrat reagiert entsetzt. ROLA