: Immer auch das Gorleben-Gefühl
Weil man sich doch gar nicht für eine Position allein entscheiden will: die Kulturelle Landpartie im Wendland ist durchaus eine Wohlfühl-Veranstaltung mit internationalem Niveau. Einerseits. Und andererseits hat man deswegen bei den künstlerischen Schauseiten der Region den Castor nicht vergessen
Wenn sich das Wendland von seiner besten Seite zeigt, in frischem Grün und gelbem Raps, mit Kunst und Kuchen, dann ist die Zeit für die „Kulturelle Landpartie“. Wenn zwischen Himmelfahrt und Pfingsten im Wendland Ateliers, Werkstätten und Höfe offen stehen für alle, dann heißt es: „Schaut her, wir sind die Chaoten“, wie es Michael Seelig, Geburtshelfer der zwölftägigen Festzeit, einmal sagte. Wie aber ist es – nach 16 Jahren Landpartie und explodierenden Besucherzahlen – um die Visitenkarte der Region bestellt? Die Landpartie – touristisches Massenhappening oder die Besinnung auf kreativen Widerstand gegen die Atompolitik?
Hans Stephan Jagodzinska schlug vor zehn Jahren im Wendland auf. „Ich suchte ein Leben, hinter dem ich stehen kann“, erinnert er sich. Er wolle nicht einfach dagegen sein, sondern für etwas kämpfen. Als Lkw-Fahrer ging das nicht. Scherenschleifer ist er dann geworden, der einzige im ganzen Landkreis Lüchow-Dannenberg hier im Wendland. Seine selbst gebaute rollende Werkstatt mit den per Fußpedal betriebenen Schleifsteinen können Besucher der Landpartie in Diahren entdecken, auf einem kleinen kopfsteingepflasterten Hof unter alten Eichen. „Hier kommt bloß ab und zu jemand vorbei“, sagt Jagodzinska, „und manche bringen diesmal sogar ihre Messer und Scheren zum Schärfen mit.“
„Das ist doch die Seele von dem Ding: mit dem Fahrrad rumfahren und die ausgelatschten Wege verlassen“, plädiert Willem Wittstamm für die kleinen Programmpunkte der Landpartie zwischen „einigen großen, brummenden, wo die Mark gemacht wird“. Er selbst gehört mit der „Lachparade“ wohl eher zu Letzteren. Was vor elf Jahren „zu 100 Prozent Benefiz“ zu Gunsten des Widerstandes rund um Gorleben war, sei heute „kommerzialisiert“.
300 Leute passen in den Bauernsaal im Gasthaus „Zum Rebstock“ in Waddeweitz. Fünf Abende lang lassen sich die Comedians, Zauberer und Sänger „voller Lebenslust vom Publikum ausmelken“. Geschickt lockt Moderator Wittstamm mit der „Lachparade“ (noch von heute bis Pfingstmontag, jeweils 20 Uhr) die Leute mit Kultur, um sie ganz nebenbei aufzuklären. Erstmals verleiht er den „Pokal für herausragende Widerstandsleistungen an der Basis“, ausgezeichnet wird zum Beispiel der „beste Broteschmierer auf der Esso-Wiese“ oder die „letzte Weggeräumte in Langendorf“. Wittmann: „Wir machen kein politisches Kabarett, sondern pures Varieté – eine Wohlfühl-Veranstaltung mit internationalem Niveau.“
„Für die Region ist die Kulturelle Landpartie mit 50.000 Besuchern und 97 Ausstellungspunkten ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor geworden“, bilanziert Anette Frank. Sie hilft im neuen Organisationsteam, das nun mehr Eigenregie von den einzelnen Veranstaltern fordert, um das Facettenreichtum der Landpartie nicht zu verlieren. „Wir sind kein Versorgungsunternehmen, sondern müssen den Publikumskontakt pflegen.“ Noch stecke die Landpartie in der Pubertät, nun müsse sie erwachsen werden.
Jetzt in der fünften Jahreszeit im Wendland – vor der sechsten im November, wenn der Castor kommt – wird Anette Frank auch zur Vermarkterin ihrer eigenen Kreativität – ihre „selbst gewählte erfüllende Doppelbelastung“: Als Frau Schaschlik liest sie ihren Gästen jeden Morgen beim Frühstück aus der Elbe-Jeetzel-Zeitung Artikel über die Landpartie und den Gorleben-Konflikt vor. Andernorts und zu anderer Zeit informiere und diskutiere man nicht so über diesen Bezug, vor allem nicht mit so vielen Angereisten.
„Alles im Kasten?“, fragte Irmhild Schwarz im letzten Jahr an vielen Ausstellungsorten. Sie fragte dabei nicht nur Kunstschaffende. Das Ergebnis hat sie nun in einer Scheune im Dörfchen Kröte zusammengetragen: 52 rote Holzkästen mit einem silbernen „G“ in der Mitte vermitteln „das Gorlebengefühl“. Klappt man die knarrenden Türen auf, liegen darin eine tote Maus neben einer rostigen Falle, ein Katastrophenplan mit Jodtabletten und Baldriantropfen oder ein buntes Schreibschrift-“Ach“ aus Holz. „Sie geben Wut, Ohnmacht, Angst, aber auch Witz und Widerborstigkeit eine konkrete Form“, deutet die Künstlerin die Kasteninhalte.
„Die vielen auswärtigen Aussteller und Besucher sollen wissen, was uns bewegt. Sie sind nicht bloß zum Kaufen und Verkaufen im Wendland“, erklärt Anette Frank eines der Grundprinzipien der Kulturellen Landpartie. Ohne Garantien: „Wir verlangen nicht, dass sie alle dann auch im November kommen, dazu gehören mehrere Schritte“, schraubt Irmhild Schwarz die Ansprüche doch etwas herunter. Aber eines steht für sie fest: „Das Wendland kann sich jetzt im Mai von seiner allerschönsten Seite zeigen. Die dunkle Seite bleibt.“ ANJA HUMBURG