Zentralfriedhof, ade

Der FC Bayern München bestreitet heute sein letztes Spiel im Münchner Olympiastadion – damit verabschieden sich die Münchner aus einer Arena, in der sie 17 Meistertitel feiern konnten

AUS MÜNCHEN JOACHIM MÖLTER

Nun endet es also, wie es begann – mit einer Meisterfeier. Am Samstag treten die Fußballprofis des FC Bayern München gegen den 1. FC Nürnberg an, zum letzten Mal in dieser Saison zu Hause, zum letzten Mal überhaupt im Olympiastadion, danach bekommen sie die Schale für den Titelgewinn. So ähnlich war es auch vor fast genau 33 Jahren, als sie zum ersten Mal in die Arena einliefen, am 28. Juni 1972, gegen Schalke 04. Zuvor kickten die Bayern im Grünwalder Stadion, für die Meisterfeier am letzten Spieltag hatten sie eine Ausnahme beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) erwirkt und sich im neuen Stadion präsentiert. 80.000 passten damals noch hinein, sie sahen einen 5:1-Sieg, der FC Bayern machte seine erste Millioneneinnahme an einem Tag und begründete damit künftigen Reichtum und Erfolg.

16 weitere Meistertitel feierten die Bayern im Olympiastadion, ein paar Millionen Mark und Euro nahmen sie dabei ein – gedankt haben sie es dem Stadion nie. Es war ihnen zu weitläufig, zu großräumig. Manager Uli Hoeneß hatte schon vor Jahren etwas Intimeres gefordert und die Stimmung im Olympiastadion dabei mit dem Zentralfriedhof von Chicago verglichen. Präsident Franz Beckenbauer hatte während der Um- und Neubaudebatten sogar gehofft: „Es wird sich doch wohl bald ein Terrorist finden, der das Olympiastadion in die Luft sprengt.“ Das sagte er zwar, bevor Terroristen das World Trade Center plattmachten, peinlich war es trotzdem angesichts des Terroranschlags bei Olympia 1972.

Für die war das Stadion ja gebaut worden, weltweit gerühmt wegen seiner Architektur, dem Zeltdach, der offenen, luftigen Bauweise. Das Stadion war für Sommerspiele gedacht, wenn die Sonne schien und es warm war, entfaltete es seinen Zauber. Bei Winterspielen war es ein Fluch. „Eine meteorologische Besonderheit“ attestiert jedenfalls Hans Eiberle dem Bauwerk: „Drinnen immer zehn Grad kälter als draußen.“ Was das Olympiastadion angeht, ist der 66-Jährige ein Mann der ersten Stunde. Noch bevor der FC Bayern dort zum ersten Mal spielte, und noch bevor die deutsche Nationalmannschaft das Stadion offiziell einweihte mit einem 4:1 über die UdSSR am 26. Mai 1972, kickte er mit anderen Münchner Sportjournalisten gegen eine Schwabinger Kneipenmannschaft auf dem beheizbaren Rasen, damals noch ein Luxus.

Geblieben ist Hans Eiberle davon ein Foto, ansonsten die Erinnerung an tausend Spiele, zehntausend Tore, hunderttausend Anekdoten. Die Münchner Zeitungen begannen schon Anfang der Woche, so viele aufzuzählen, wie sie konnten: Sie gruben sogar den Gärtner aus, der den Rasen stutzt, angeblich immer auf genau 2,8 Zentimeter, wobei nicht anzunehmen ist, dass er dabei jeden Grashalm einzeln mit dem Lineal vermisst. Einige erinnerten sogar an Momente, die nichts mit Fußball zu tun hatten, beispielsweise den Flop der 16 Jahre alten Ulrike Meyfahrt zu Olympia-Gold über die damalige Weltrekordhöhe von 1,92 Meter.

Aber im Grunde war es der Fußball, der die Erinnerungen geprägt hat. Im Olympiastadion gab es große Siege wie das 2:1 der DFB-Elf im WM-Endspiel 1974. Die Münchner Gerd Müller und Paul Breitner schossen die Tore für Deutschland, der Münchner Sepp Maier verhinderte Tore für Holland, und der Münchner Franz Beckenbauer stemmte die Trophäe in die Höhe. Es gab große Niederlagen wie das 1:5 gegen England in der WM-Qualifikation vor vier Jahren oder das 0:7 des FC Bayern gegen Schalke 04 am 9. Oktober 1976. Sogar „die Mutter aller Niederlagen“ (Süddeutsche Zeitung) konnte man im Olympiastadion erleben, obwohl sie sich in Barcelona ereignete: 30.000 Menschen sahen im Mai 1999 auf einer Großbild-leinwand das 1:2 der Bayern im Champions-League-Finale gegen Manchester United. Danach war tatsächlich eine Stimmung wie auf dem Friedhof von Chicago.

Demnächst weihen der FC Bayern und Lokalrivale TSV 1860 die Allianz-Arena ein, die Freude über den Einzug überwiegt ganz klar die Wehmut über den Auszug. Ganz still wird es im Olympiastadion aber nicht werden. Die Olympiapark GmbH versucht, die Fußballlücke im Stadion mit anderen Ereignissen zu füllen, Anfang Juni zum Beispiel mit einer Wein-Welt. Das ist eine Getränkemesse, kein kollektives Weinen über die treulosen Kicker. Vorher aber dient das Stadion noch als Open-Air-Kino, als erster Film flimmert am kommenden Mittwoch „Das Wunder von Bern“ über Europas größte Mobilleinwand, das Werk über den WM-Sieg 1954. Großer Fußball, großes Kino, große Gefühle. Der Ball rollt weiter, nur auf einem anderen Feld.