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Archiv-Artikel

in der taz vor 20 jahren: martin kempe über die spd und das wachstum

Es ist noch gar nicht so lange her, da galt es unter den grün-alternativen Wortführern aller Flügel als ausgemacht, dass die SPD einer alten, absterbenden politischen Kultur zuzurechnen sei. Der Kassenkampf ist so tot wie die Arbeiterbewegung, hieß es, und es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis sich eine neue politische Kultur und mithin auch eine neue politische Partei, die Grünen nämlich, an ihrer Stelle etabliere. Die SPD als hegemoniale, reformerische Kraft in der Bundesrepublik sei nicht in der Lage, sich zu regenerieren. Die Naivität dieses Zukunftsoptimismus der Grünen schlägt jetzt auf sie selbst zurück. Denn offensichtlich haben die Grünen nicht vorausgesehen, was das Selbstverständlichste von der Welt ist: dass die SPD die politische Herausforderung durch die Grünen annehmen würde, dass sie sich nicht kampflos ihr Terrain als die große, integrierende, reformerische Volkspartei streitig machen lassen würde.

Natürlich geht es für die SPD nicht darum, aus dem „Wachstumsblock“ auszuscheren – aber was bedeutet das schon in Zeiten, wo der industrielle Produktionsprozess aus sich selbst heraus schon seit Jahren kein Wachstum mehr zustande bringt? Es geht – wenn man es so sieht – schon längst nicht mehr um die Alternative „Wachstum oder Umweltschutz“, mit der große Teile der Grünen immer noch beim ökologisch sensibilisierten Publikum Punkte zu gewinnen hoffen. Es geht viel eher darum, eine veränderte Wirtschafts- und Produktionspolitik zu konzipieren, die unter den Bedingungen von Krise und Massenarbeitslosigkeit eine Perspektive für ökologische Umgestaltung eröffnet. Da reicht es eben nicht, pausenlos den Ausstieg zu propagieren – Ausstieg aus der Atomenergie, Chemievergiftung usw. –, weil Ausstieg allein noch keine gesamtgesellschaftliche Industriepolitik ist und den Beschäftigten der betroffenen Betriebe und Industriezweige eben doch die fatale Konsequenz zumutet: entgiftet, aber arbeitslos.

(taz, 14. 5. 1985)