: Erster Prozess: Richterschelte für alle Seiten
STRAFGERICHTSHOF Der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga ist des Einsatzes von Kindersoldaten schuldig. Aber auch die Anklage hat Fehler gemacht
■ Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist das erste ständige Weltgericht zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen. Seine Grundlage sind die 1998 verabschiedeten „Statuten von Rom“, die am 1. Juli 2002 in Kraft traten. Vorher gab es lediglich UN-Sondertribunale zu Exjugoslawien und Ruanda. Inzwischen haben 120 Staaten das Rom-Statut ratifiziert, darunter alle Mitglieder der EU. Unter anderem die USA, China, Russland und Israel lehnen das Gericht ab. Nach den Statuten kann das Gericht nur Verbrechen verfolgen, die nach dem 1. Juli 2002 in einem Vertragsstaat oder durch einen Staatsbürger eines solchen Landes begangen wurden, oder es kann der UN-Sicherheitsrat das Gericht mit Ermittlungen beauftragen. 15 Verfahren sind vor dem Gericht anhängig, die die Demokratische Republik Kongo, Uganda, Sudan, die Zentralafrikanische Republik, Kenia, die Elfenbeinküste und Libyen betreffen. (epd)
VON DOMINIC JOHNSON
BERLIN taz | Der Gerichtssaal in Den Haag war vollbesetzt. Regungslos, im weißen Festkleid, lauschte der ehemalige Präsident der Union kongolesischer Patrioten (UPC), als der Vorsitzende Richter Adrian Fulford am Mittwoch gegen 10.30 Uhr das Urteil sprach: Schuldig.
„Thomas Lubanga ist der Verbrechen schuldig, Kinder im Alter unter 15 Jahren in die Ränge der UPC/FPLC eingezogen und rekrutiert zu haben und sie dafür eingesetzt zu haben, aktiv an Feindseligkeiten teilzunehmen“, so der Richter. Als Milizenführer sei er verantwortlich für die „verbreitete Rekrutierung von jungen Menschen unter 15 Jahren auf erzwungener sowie freiwilliger Basis“. Die Kinder „wurden als Soldaten stationiert“, sie „nahmen an Kämpfen teil“, sie „wurden als militärische Wachposten eingesetzt“.
Damit geht der erste Prozess vorläufig zu Ende, den der IStGH in Den Haag überhaupt eröffnete. Der Milizenführer war 2006 aus Kinshasa an das Weltgericht überstellt worden, als erster Häftling des Strafgerichtshofs. Die Verhandlung begann Anfang 2009, es gab 204 Verhandlungstage, 1.373 Beweismittel und 67 Zeugen.
Das ist viel Mühe, um etwas zu beweisen, was niemand bestreitet: dass die Miliz Lubangas, genau wie alle anderen Armeen und Milizen im Kongo, Minderjährige einsetzt.
Entstanden war die UPC im September 2000, in den finstersten Zeiten des Krieges, der die riesige Demokratische Republik Kongo ab 1998 spaltete und verwüstete. Die Miliz hatte sich von einer anderen Rebellengruppe abgespalten, die den Ostkongo beherrschte.
Politisch trat die UPC als Sammelbecken ehemaliger Studenten der Universität Kisangani aus dem Umfeld der einstigen Demokratiebewegung des Kongo auf. Militärisch agierte sie als Selbstverteidigungsarmee der Hema-Volksgruppe – einer nur wenige hunderttausend Menschen umfassende Ethnie im Distrikt Ituri im Nordosten des Kongo.
Diese Volksgruppe bildet zwar in Ituris Hauptstadt Bunia die intellektuelle Elite. Aber auf dem Land wurde sie während des Krieges Opfer von Massakern. In den Jahren 2001/2002 flohen daher viele Hema aus den Dörfern nach Bunia. Dort übernahm die UPC im August 2002 die Kontrolle. Nach außen ging sie mit ähnlich brutalen Mitteln gegen rivalisierende Milizen vor.
Der Krieg endete erst durch eine französisch geführte EU-Militärintervention 2003. Heute ist die UPC keine Miliz mehr, sondern eine Partei mit Parlamentsabgeordneten.
Diesen politischen Kontext behandelt das Den Haager Urteil nicht, sondern es konzentriert sich auf juristische Fragen.
So ist die Rekrutierung von Kindersoldaten auch dann strafbar, wenn die Kinder sich freiwillig melden. Und eine „aktive Beteiligung“ an Feindseligkeiten liegt auch dann vor, wenn die Kinder nicht selbst kämpften. Wichtig ist, ob „die Unterstützung, die das Kind dem Kämpfer leistet, es potenzieller Gefahr als ein potenzielles Ziel aussetzt“.
Potenziell drohen Lubanga jetzt 30 Jahre Haft. Aber das weitere Vorgehen im Hinblick auf die Verkündung eines Strafmaßes wird erst am 18. April besprochen. Und davor soll die Verteidigung bis zum 28. März sagen, welche Teile des 624-seitigen Urteils auf Französisch übersetzt werden sollen, damit Lubanga sie lesen und Berufung einlegen kann.
Dass Berufung eingelegt wird, darf als sicher gelten, zumal der Richter scharfe Kritik an Chefankläger Luis Moreno-Ocampo übte, weil der lokale Mittelsmänner im Kongo eingesetzt hatte, um Zeugenaussagen zu erhalten. Deshalb sei zu befürchten, dass einige der Zeugen „manipuliert“ wurden.