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„Dagegen hilft nur Druck in den Betrieben“

Die Antworten auf Kürzungspolitik, Rechtsruck und Klimakrise liegen in gewerkschaftlicher Organisierung. Welche genau, wird auf der sechsten Gewerkschaftskonferenz diskutiert

Hoffentlich bald noch kämpferischer: Gewerkschafter­ bei einer Streikkundgebung Foto: Rainer Keuenhof/picture alliance

Interview Jonas Wahmkow

taz: Frau Zeise, am Wochenende findet die mittlerweile 6. Konferenz zur „gewerkschaftlichen Erneuerung“ statt. Was hat der diesjährige Titel „Gegenmacht im Gegenwind“ zu bedeuten?

Fanny Zeise: Der Rechtsruck, der Industrieumbau und der dauerhafte Kürzungsdruck in der Daseinsvorsorge sind Dinge, die Gewerkschaften derzeit vor große Herausforderungen stellen. Darüber hinaus sind Gewerkschaften schon ziemlich lange in der Defensive. Gewerkschaften haben durch die neoliberale Wende Anfang der 2000er an Stärke eingebüßt und viele Mitglieder verloren.

taz: Vor zwei Jahren gab es eine Trendwende. Im Zuge der starken Inflation traten viele Gewerkschaften wieder konfliktfreudiger auf. Auch verzeichneten viele Gewerkschaften wieder Mitgliederzuwachs. Ist dieser Moment schon wieder vorbei?

Zeise: Das glaube ich nicht. 2023 war wirklich beeindruckend, man denke nur an den Megastreiktag von Verdi und der EVG im Verkehrsbereich. Die Forderungen waren nicht nur hoch, sondern man hat auch angefangen, anders an solche Auseinandersetzungen heranzugehen. Mit Organizing-Konzepten wurde versucht, die Organisationsmacht von Gewerkschaften wieder aufzubauen. Ich hoffe, dass so ein Erneuerungsmoment von 2023 auch Auswirkungen hat auf die Auseinandersetzungen, die noch kommen.

taz: Welche Rolle spielt dabei die Konferenz für gewerkschaftliche Erneuerung?

Zeise: Zur ersten Konferenz vor zwölf Jahren sind 500 Menschen gekommen. Heute haben wir über 2.000 Anmeldungen. Es war schon immer eine Konferenz von den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, die gesehen haben, dass das alte Arrangement der Sozialpartnerschaft nicht mehr funktioniert.

taz: … der Begriff bezeichnet das Prinzip, die Interessengegensätze von Arbeit und Kapital nicht durch Arbeitskampf, sondern durch konsensorientierte Verhandlungen zu lösen.

Zeise: Genau, Gewerkschaften wurden politisch geschwächt und Arbeitgeber haben gesehen, sie sind auf diesen Frieden nicht mehr angewiesen und können viel offensiver ihre Interessen durchsetzen. In den Gewerkschaften gab es bei unserer ersten Konferenz 2013 einige, die versucht haben, Gewerkschaftsarbeit anders zu machen: konfliktorientierter, beteiligungsorientierter und politischer. Deren Beispiele haben wir auf den Konferenzen diskutiert, um diese Erfahrungen zu verallgemeinern. Sie waren damit Teil einer Suchbewegung, die in den letzten 12 Jahren deutlich angewachsen ist.

Arbeitskampf im Mai

Streikkonferenz Eine Kooperation aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Gewerkschaften wie Verdi und IG-Metall organisiert alle zwei Jahre die Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung. Dieses Jahr findet sie in der TU vom 2. Mai bis zum 4. Mai statt.

DGB-Demo Konventioneller ging es bei der diesjährigen 1.Mai-Demo des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zu. Rund 5.500 Menschen zogen unter dem Motto „Mach dich stark mit uns“ zum Roten Rathaus und forderten unter anderem eine Anhebung des Mindestlohns.

taz: Politisieren sich die Gewerkschaften? Die Arbeitskämpfe bei den Kitas, der BVG und in den Krankenhäusern sprachen ja auch immer eine gesellschaftliche Dimension an.

Zeise: Die Unterfinanzierung der Haushalte in Ländern und Kommunen zwingt den Gewerkschaften eine Politisierung geradezu auf. Man hat jetzt die Auswirkungen, dass die Gebäude marode, das Personal total erschöpft ist und keiner mehr im öffentlichen Dienst arbeiten will. Man hat alles runtergewirtschaftet. Dagegen hilft nur Druck in den Betrieben sowie auch auf der politischen Ebene.

taz: Umfragen zufolge ist der Rechtsruck unter Ar­bei­te­r:in­nen am stärksten verbreitet. Wie gehen Gewerkschaften damit um?

Foto: privat

Fanny Zeise ist Referentin für Arbeit, Produktion und Gewerkschaften bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Zeise: Für Gewerkschaften sind rassistische Spaltungen unter Kol­le­g:in­nen extrem gefährlich. Das widerspricht dem Kern der Gewerkschaften, sich zusammenzuschließen und gemeinsam zu kämpfen. Deswegen kann rechte Politik keinen Platz haben. Es ist eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften dem etwas entgegenzusetzen. Bei der IG Metall gibt es zum Teil schon Beratungsangebote, die Strategien organisierter Rechter analysieren und beraten, wie man im Betrieb am besten damit umgeht. Eine offensive Gewerkschaftsarbeit, die Leute ernsthaft beteiligt, ist entscheidend. Es gibt Studien, die nahelegen, dass rechten Einstellungen entgegengewirkt wird, wenn Menschen die Ohnmacht überwinden und kollektives Handeln Ergebnisse bringt. Es ist daher wichtig, dass Gewerkschaften Alternativen aufzeigen. Sowohl im Betrieb als auch Gesellschaftlich.

taz: Welche Rolle können Gewerkschaften bei Fragen gesellschaftlicher Transformation wie dem Klimaschutz spielen?

Zeise: Bei der letzten Konferenz vor zwei Jahren waren auch einige Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen da, das wird dieses Mal wieder so sein. Teile der Klimabewegung wenden sich den Gewerkschaften zu. Der sogenannte Labor Turn entstand aus der Einsicht heraus, dass es die Beschäftigten sind, die die Transformation gestalten müssen. Echte Klimapolitik kann nur mit der Macht der Beschäftigten durchgesetzt werden. Ich habe in meinem Leben schon viele große Demonstrationen erlebt, es ist aber fast nie etwas dabei herausgekommen. Die Streikmacht ist da etwas ganz anderes. Diese Möglichkeit, ökonomischen Druck auszuüben, macht Gewerkschaften spannend.

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