Filmfestspiele von Cannes: Mehr weiblichen Bodyhorror wagen
Die 78. Internationalen Filmfestspiele von Cannes beginnen. Im Wettbewerb treten genauso viele deutsche Regisseure an wie dieses Jahr bei der Berlinale.

Man könnte es als diversity washing abtun: Die 78. Internationalen Filmfestspiele von Cannes, die heute beginnen, haben statt eines offiziellen Plakats gleich zwei. Eines mit dem Gesicht der Schauspielerin Anouk Aimée und eines, das ihren Kollegen Jean-Louis Trintignant zeigt. Beide Male ist eine Umarmung zu sehen, sie stammt aus Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau“, in dem beide spielten und für den der Regisseur 1966 in Cannes die Goldene Palme gewann.
Die mit den Bildern angedeutete Genderparität mag sich nicht eins zu eins im aktuellen Programm des Wettbewerbs widerspiegeln, doch arbeitet das Festival mehr und mehr darauf hin. Unter den 22 Filmen, die diesmal um die Goldene Palme konkurrieren, kommen immerhin sieben von Regisseurinnen.
Wie für Cannes üblich, sind darunter verdiente Namen wie die US-Amerikanerin Kelly Reichardt und die Britin Lynne Ramsay oder aber die jüngere französische Regisseurin Julia Ducournau, die schon zum dritten Mal mit einem Genrefilm in Cannes antritt. Nachdem ihr Debütfilm „Raw“ 2016 in der unabhängigen Nebenreihe „Semaine de la critique“ lief, gewann sie 2021 mit „Titane“ die Goldene Palme.
Ihr jüngster Film, „Alpha“, der in der Normandie der achtziger Jahre spielt und in dem der iranische Schauspielstar Golshifteh Farahani als Hauptdarstellerin mitwirkt, wird aller Voraussicht nach wie ihre ersten beiden Arbeiten ein Bodyhorrorfilm sein.
Auch aus Deutschland ist eine Regisseurin unter den Palmenanwärterinnen. Mascha Schilinski zieht mit ihrem zweiten Spielfilm, „In die Sonne schauen“, wenn man so möchte, an ihren männlichen „Mitbewerbern“ Fatih Akin und Christian Petzold vorbei. So läuft Akins im Jahr 1945 spielender Coming-of-Age-Film „Amrum“ außer Konkurrenz in einer Nebenreihe, wie auch Petzolds „Miroirs No. 3“, erneut mit Paula Beer in tragender Rolle, der in der Sektion „Quinzaine des Cinéastes“ antritt. In Cannes sind damit genauso viele oder wenige deutsche Regisseure im Wettbewerb wie dieses Frühjahr bei der Berlinale – dort war es Frédéric Hambalek („Was Marielle weiß“).
Branchenlieblinge gehen leer aus
Überhaupt hatte es bei der Vorstellung der Auswahl für Cannes ein wenig Erstaunen gegeben, da ein regelmäßiger Gast des Festivals diesmal komplett im Programm fehlt: Jim Jarmusch, dessen mit Stars wie Cate Blanchett und Adam Driver besetzter Film „Father, Mother, Sister, Brother“ von Branchenblättern wie Variety als sicherer Posten für Cannes gehandelt worden war. Doch dass selbst erklärte Lieblinge der Leitung hin und wieder leer ausgehen können, spricht für deren Eigensinn.
Dafür gibt es im Wettbewerb reichlich andere übliche männliche Verdächtige wie die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Belgien, die sich diesmal „Jeunes Mères“, mithin jungen Müttern widmen, oder den US-Amerikaner Richard Linklater, der sich mit „Nouvelle Vague“ vor Jean-Luc Godard verneigt.
Des Weiteren geben sich Wes Anderson, der iranische Filmemacher Jafar Panahi und der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa die Ehre. Letzterer stellt seinen ersten neuen Spielfilm seit „Donbass“ (2018) vor, und zwar die Literaturverfilmung „Zwei Staatsanwälte“. Das Historiendrama nach dem gleichnamigen Roman von Georgi Demidow spielt in der Sowjetunion des Jahres 1937.
Ostasien ist zweimal vertreten, einerseits durch die japanische Regisseurin Chie Hayakawa mit „Renoir“, einem Film über Telepathie, andererseits gab das Festival vor wenigen Tagen bekannt, dass zudem der Chinese Bi Gan mit seinem Science-Fiction-Krimi „Resurrection“ nachträglich in den Wettbewerb aufgenommen wurde.
Bi Gan hatte zuletzt 2018 seinen zweiten Spielfilm „A Long Day’s Journey into Night“ in der Reihe „Un Certain Regard“ vorgestellt, der sich durch eine traumartige Stimmung auszeichnete und durch einen Wechsel vom 2-D- ins 3-D-Format. Man kann sich, ebenso wie die Jury unter der Schauspielerin Juliette Binoche, auf neue Überraschungen freuen.
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