: Die Reise begann im Plattenladen
Ghanaischer Highlife-Sound, Frafra-Gospel und Jazz haben Florence Adooni geprägt. Auf Tour stellt sie nun ihr Debütalbum vor
Von Jens Uthoff
Bolgatanga im Norden Ghanas, Ende 2013. Florence Adooni ist noch weit entfernt davon, mit ihrer Band und ihrer Musik durch Europa zu touren und in den Streamingdiensten hunderttausendfach abgespielt zu werden. Sie ist eine einfache Gospelsängerin, die die Chants der Frafra, ihrer Volksgruppe, singt und performt. Mit einem Stapel CDs unter dem Arm betritt sie an diesem Tag einen örtlichen Plattenladen, auf den Tonträgern sind Gesangsaufnahmen von ihr. „Ich wollte damals mein Album vertreiben und unter die Leute bringen, also habe ich die Händler abgeklappert“, sagt Adooni, als sie heute von dieser Zeit berichtet.
In dem Laden trifft sie zum ersten Mal auf Max Weissenfeldt. Weissenfeldt ist ein deutscher (Jazz-)Musiker, Produzent und Weltreisender in Sachen Sound, er kommt aus München, hält sich damals immer wieder in Ghana auf und produziert dort Musik. Als er Adooni mit ihren CDs erblickt, liest er den Schriftzug ihres Namens darauf und fragt: „Bist du Florence? Ich kenne deine Musik! Ich finde gut, was du machst.“ Erst kurz zuvor hat Weissenfeldt hunderte Frafra-Aufnahmen von einem Musikhändler bekommen, dabei stieß er auf einige ihrer Stücke.
Die beiden tauschen Kontakte aus, doch erst Jahre später sollen sie eine gemeinsame Band bilden. 2016 schickt Weissenfeldt Adooni gemeinsam mit Guy One mithilfe des Goethe Instituts auf eine Westafrika- und Europa-Tour. Weissenfeldt ist inzwischen in die ghanaische Kulturmetropole Kumasi gezogen. Mit Guy One, einem Kologo-Spieler, der ebenfalls aus der Volksgruppe der Frafra kommt, arbeitet er immer wieder zusammen. Er engagiert Adooni zwei Jahre später auch als Sängerin für ein neues Album von Guy One. 2021 schließlich gründen sie eine eigene, nach ihr benannte Band. Und gleich der erste veröffentlichte Song „Mam Pe’ela Su’ure“ (2021) ist sehr erfolgreich, inzwischen hat sich der Song bei Spotify fast eine Million Mal geklickt.
Dieses Stück eröffnet nun auch Florence Adoonis Debütalbum „A.O.E.I.U.“, das kürzlich auf Weissenfeldts Label Philophon erschienen ist. Stilistisch sind die 7 Songs darauf eine spektakuläre Mixtur aus Frafra-Gospel, Highlife und Free Jazz. Die Stücke hat überwiegend Weissenfeldt komponiert, „vor allem das Sun Ra Arkestra ist dabei ein bedeutender Einfluss gewesen“, erzählt er am Telefon. Die Buchstaben im Titel stehen für „An Ordinary Exercise In Unity“. „Das könnte natürlich so auch von Sun Ra stammen“, sagt Weissenfeldt. Neben ihm hat auch der finnische Musiker Jimi Tenor mitgewirkt, der unter anderem für die Musik und den englischen Textteil des potenziellen Dancefloor-Hits „Vocalize My Luv“ verantwortlich zeichnet.
Florence Adooni ist in Kumasi geboren und aufgewachsen. Mit ihren Eltern hat sie aber immer wieder die Heimatstadt ihrer Familie, Bolgatanga, besucht, wo viele Frafra leben. „Meine Mutter hat auf Beerdigungen gesungen“, erzählt die heute 39-Jährige im Videochat mit der taz. In der ghanaischen Kultur sind Begräbnisse große Feste, viele außergewöhnliche Musiker:innen treten dort auf. Auch ihr mittlerweile verstorbener Vater habe Musik gemacht, sei Kalebasse-Spieler gewesen. „Er hat mit mir jedes Jahr neue Weihnachtslieder beigebracht. Die habe ich mit anderen Kindern gesungen. Ich war die Leaderin, die anderen haben geantwortet.“ Call-and-Response-Techniken lernte sie also schon als Kind. Als junge Erwachsene hat sie in Kumasi zunächst als Grafikdesignerin gearbeitet und einen eigenen Laden gehabt. In den vergangenen beiden Jahren ist sie so viel mit ihrer Band getourt, dass die Musik zu ihrem Lebensmittelpunkt wurde.
Kumasi ist von der Einwohnerzahl etwa genauso groß wie die Hauptstadt Accra, rund 2,5 Millionen Menschen leben hier, die Stadt ist Hauptstadt der Ashanti und hatte eine zentrale Bedeutung für die Highlife-Musik. Die Ursprünge des Highlife liegen bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Zeiten Britisch-Westafrikas; damals fanden westafrikanische „Palmweinmusik“, Seefahrer-Shanties, die Musik christlicher Missionare, Calypso und weitere Stile zu einer neuen Musik zusammen, die sich im Anschluss fortlaufend von anderen Einflüssen inspirieren ließ. „In Kumasi gab es jahrelang tolle Highlife-Produktionen“, erzählt Adooni, „die jüngere Generation führt diese alte Tradition leider nicht fort, da ist Hiphop und Hiplife angesagter.“ Hiplife ist eine Mischung aus HipHop und Highlife. Sie aber wolle mit ihrer Band den klassischen Highlife weitertragen, sagt sie.
Der epische Titeltrack „A. O. E. I. U.“ ist mit seinem swingenden und hüpfenden Bläsern und einem catchy Refrain ein Kernstück des Albums, Weissenfeldt hat dabei auf eine alte Songskizze zurückgegriffen. Im Spoken-Word-Teil feiert Adooni die Musik an sich: „Music (…) takes us on a journey / it is a metaphor of life / (…) Music gives meaning to lifetime“, heißt es darin unter anderem. Eine Hommage an die Musik, sagt Weissenfeldt, der den Text geschrieben hat: „Musik bringt einfach immer irgendwie zusammen. Sei es, dass du zu Musik gemeinsam tanzt, sei es, dass du gemeinsam musiziert.“ Pathetisch gesagt sei Musik ein magisches Erlebnis, mit dem man sich mit dem Kosmos verbinde.
Eine weitere bekannte Musiktradition der Frafra-Kultur neben dem Gospelstil ist der Kologo-Sound, der durch zwei Sampler („This Is Kologo Power!“, „This Is Frafra Power“) weltweit etwas bekannter wurde. „Aber auf Frafra-Gospel habe ich mit meinem Label weltweit das Monopol“, sagt Weissenfeldt und lacht. Sicher scheint: Die „Journey“, die Adooni und Weissenfeldt mit diesem Sound machen und die vor vielen Jahren in einem Plattenladen in Bolgatanga seinen Ursprung hatte, die geht wohl gerade erst richtig los.
Florence Adooni: „A.O.E.I.U.“ (Philophon Records/Kudos, Believe)
Live: 13. 6. Erfurt, Krämerbrückenfest; 20. 6. Mannheim, Schillertage; 21. 6. Halle, Galerie Fettstein; 25. 6. Köln, Stadtgarten; 17. 7. Lübeck, Classical Beat Festival; 18. 7. Berlin, Durchlüften Festival; 13. 8. Hamburg, Kampnagel
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