: Deutschland und Russland dem Erdkern am nächsten
Wir sind auf dem Mond gelandet und wollen weiter zum Mars. Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde bleibt aber wohl für immer Fantasie. Was tut sich da unter unseren Füßen?
Von Philipp Brandstädter
Ein Glück, dass im Mittelpunkt unserer Erde ein hochdichter Klumpen aus Eisen und Nickel steckt. So groß wie der Mond und 5.000 Kilometer unter unseren Füßen, erzeugt der Erdkern ein magnetisches Feld, das die schützende Atmosphäre zusammenhält und uns vor tödlicher kosmischer Strahlung und Sonnenwinden bewahrt. Ohne das Magnetfeld würde die Atmosphäre zerstört und die Erde bald auskühlen. Am Ende wäre sie in etwa so lebensfeindlich wie der Mars.
Forschende der University of Southern California wurden deshalb entsprechend nervös, als sie feststellten, dass sich der Erdkern seit einigen Jahren immer langsamer dreht. Würde der Erdkern irgendwann stillstehen und sich die Atmosphäre auflösen, wie es einst auch auf dem Mars geschehen ist?
Im Februar veröffentlichten sie eine Folgestudie mit weiteren Daten. Offenbar ist die Oberfläche des Eisenkerns gar nicht so fest wie gedacht. Seine Ausdehnung und Viskosität schwankt, und damit auch seine Drehbewegung. Was der Erdkern in Zukunft so treiben wird, lässt sich dadurch umso schwerer beantworten. Über den Mittelpunkt der Erde wissen wir einfach zu wenig.
Das lässt Spielraum für fantastische Geschichten. Mitte des 19. Jahrhunderts ließ Jules Verne einen Expeditionstrupp den isländischen Vulkan Snaefellsjökull hinabsteigen, um dort auf unterirdische Meere zu stoßen. Deren Ufer waren von exotischen Riesenpflanzen bewachsen und von urzeitlichen Ungeheuern bewohnt. Im Science-Fiction-Film „The Core“ bohrten sich ein paar Kernreisende in den Untergrund und stießen unterwegs auf gewaltige Blasen voller Diamanten. Bis zum Erdkern selbst hat es niemand geschafft, nicht einmal in fantastischen Geschichten.
Der Druck und die Hitze, die schon ein paar hundert Meter unter der Erde drastisch zunehmen, würde kein Mensch überleben. Diese Faktoren sind es auch, die dafür sorgen, dass es im Erdmantel zwischen Kern und Kruste nicht mehr zu entdecken gibt als zirkulierende Gesteinsschmelze. Schon bei dem zaghaften Versuch, dem Mantel etwas näher zu kommen, hat bislang jede Technik und jedes Material versagt. Das tiefste Loch wurde 1989 auf der russischen Halbinsel Kola an der Grenze zu Norwegen gebohrt. Der Bohrkopf gab nach 12.262 Metern seinen Geist auf. Da war noch nicht einmal die Hälfte der festen Erdkruste geschafft.
Das zweittiefste Loch der Erde wurde in Windischeschenbach gebohrt. Der 5.000-Seelen-Ort im Oberpfälzer Wald liegt auf dem Grundgebirge, wo vor 350 Millionen Jahren zwei Kontinente kollidierten. „Verschiedene Bereiche der Erdkruste schoben sich dort übereinander und drückten tektonische Elemente in greifbare Nähe“, erklärt Thomas Wiersberg vom Helmholtz-Zentrum für Geowissenschaften. „Das machte die Gegend für die Grundlagenforschung interessant.“
So bahnten sich bis Mitte der neunziger Jahre zwei Typen Bohrköpfe in die Litosphäre: Rollenbohrmeißel, bei denen mehrere Stahlkegel gegeneinander rotierten, und spitze Bohrkronen, die mit Diamantsplittern besetzt waren. Um tiefer vorzudringen, wurde ans Ende einer jeden Bohrstange eine neue aufgesteckt. Ein wackeliges Unterfangen. „Nach 9.101 Metern war Schluss“, so Wiersberg. „Die Temperatur dort unten war höher als gedacht. 50 Grad heißer als unter der Erde von Kola.“ Das Gestein an den Bohrköpfen begann bereits zu schmelzen und plastisch zu werden, das Material versagte. 9 von 5000 Kilometern. Bis hinunter zum Erdkern bohren: unmöglich.
Erdkern: Mit 5.000 bis 6.000 Grad Celsius ist der Mittelpunkt der Erde etwa so heiß wie die Oberfläche der Sonne. Der Kern hat einen Radius von circa 3.500 Kilometern und besteht vor allem aus Eisen und Nickel.
Erdmantel: Bald 3.000 Kilometer dick ist der Erdmantel, der den Kern umschließt. Er besteht aus Mineralien mit hohen Anteilen an Eisen und Magnesium. Der obere Bereich des Mantels ist um die 1.000 Grad heiß und wird Asthenosphäre genannt.
Lithosphäre: Darüber beginnt die um die 200 Kilometer dicke Lithosphäre. Sie umfasst die festere Schicht des Erdmantels und die Erdkruste.
Erdkruste: Die äußere Hülle der Erde ist nur 5 bis 70 Kilometer dünn. Sie besteht hauptsächlich aus Silikaten und Oxiden mit weniger Eisen und Magnesium sowie mehr Aluminium und anderen Elementen.
Heute gibt es nicht mehr allzu viel zu sehen von dem Wahnsinnsprojekt. Der Bohrturm steht noch. Darunter ist ein mit einem Ventil versiegeltes Bohrloch von rund 20 Zentimetern Durchmesser. Wer ein Steinchen hineinwerfen würde und glaubt, eine knappe Minute auf ein Geräusch zu warten, wäre enttäuscht. Das Loch ist mit Grundwasser gefüllt. Schon nach sechs Metern würde das Steinchen „platsch“ machen.
Geforscht wird in Windischeschenbach noch immer; an den Probebohrungen, der Hauptbohrung, dem geförderten Bohrmaterial, den über Jahre gesammelten Daten. Die Geologinnen und Geologen versuchen unter anderem mehr über Geogefahren herauszufinden, um vielleicht irgendwann Erdbeben vorauszusehen. Außerdem wollen sie die nachhaltige Energieform der Geothermie verbessern, etwa durch das gezielte Anbohren von Magma in zwei bis vier Kilometer Tiefe.
Tiefer in die Erdkruste gebohrt wird bis auf Weiteres nicht. „Jeder weitere Kilometer wird exponentiell teurer“, so Thomas Wiersberg. Unter steigernder Hitze und steigendem Druck würde der Bohrstab unter seinem eigenen Gewicht ächzen – und außerdem: Für die Forschung gibt es weiter unten nichts zu holen. Keine Hohlräume, keine Urzeitwelten, keine Diamanten. „Das hätten wir längst über seismologische Wellen entdeckt“, erklärt Wiersbergs Kollegin Monika Korte. Sie misst Erdbeben auf der gegenüberliegenden Seite der Erde. Die Schockwellen schwappen durch den Erdmantel oder werden vom Erdkern abgelenkt. Hinzu kommen Modelle aus dem Magnetfeld, die mehr über die unterirdischen Magmaströme verraten. „Andere Irritationen gibt es nicht, die hätten wir gemessen.“
Thomas Wiersberg, Geologe
Eine theoretische Idee, doch noch mehr über des Planeten Kern herauszufinden, gibt es trotzdem; auch wenn es eher Science-Fiction-Träumereien für Filme und Serien sind. David Stevenson vom California Institute of Technology sorgte in der Geologie einmal für Aufsehen, als er seinen Plan vorstellte: Eine grapefruitgroße Sonde sollte mit Schallwellen ihren Sinkflug zum Erdkern messen. Damit diese nicht schmilzt oder zerquetscht wird, würde sie von 100.000 Tonnen Eisen umschlossen sein.
Das Eisen würde man dann zu einem 300 Meter langen Keil formen, den man in eine von einer Atombombe aufgesprengte Erdspalte ablassen würde. Mit 30 Kilometern pro Stunde würde der Keil mitsamt Sonde eine Woche lang durch sein Eigengewicht hinab zum Kern gezogen.
Stevensons Idee liegt schon seit etwa zwei Jahrzehnten auf Eis. Einfacher wäre die Reise zum Mittelpunkt der Erde, wenn der Mantel, den wir durchqueren müssten, fester wäre. Tatsächlich kühlt die Erde auch allmählich ab und erstarrt. Dann könnten die gesammelten Erfahrungen aus Windischeschenbach noch einmal ausgegraben werden, um die ganz großen Bohrprojekte anzutreiben. Bis der Erdmantel dafür jedoch kalt genug ist, wird es noch Milliarden Jahre dauern.
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