: „Bielefeld hätte ich mir sparen können“
Nicht die Trümmerfrauen haben, sondern ein Rentner hat Deutschland nach 1945 einst ganz allein wieder aufgebaut. Ein Interview

Von Theobald Fuchs
Kürzlich ist in Archiven des NDR der Mitschnitt eines Interviews mit dem Rentner Emil Meyer aufgetaucht. Meyer wurde nach der Jahrtausendwende bekannt als der Mann, der Deutschland wieder aufgebaut hat. Das Gespräch stammt aus dem Jahr 2011; Emil Meyer verstarb 2014 hochbetagt in seiner Eckkneipe „Zum durstigen Maurer“ in Oldenburg. Der Wahrheit liegt verschriftlicht und exklusiv das vollständige Interviwiew vor, das wir hier abdrucken.
Herr Meyer, Sie sind bekannt geworden als der Mann, der Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut hat. Fühlen Sie sich dafür von der Gesellschaft angemessen honoriert?
„Dieser Mann hat Deutschland wieder aufgebaut …“: Ich kann’s nicht mehr hören! Wie soll ich da in Ruhe mein Pils hier trinken, wenn ständig Leute vorbeikommen und den Mann, der Deutschland wieder aufgebaut hat, sehen wollen? Ich denke doch, auch ich habe ein Recht, mir eine Privatsphäre aufzubauen!
Das verstehen wir. Dennoch: War es nicht eine wahnsinnige Leistung, die Sie damals abgeliefert haben? Die heutige Jugend ist ja nicht mal mehr in der Lage, früh aus dem Bett zu steigen und ihre von Drogen und Internet zerrüttete Psyche wiederaufzubauen. Ganz zu schweigen davon, einer ganzen Generation unserer deutschen Wiederaufbauhelden den gebührenden Respekt zu erweisen. So steht es immer wieder in der Bild!
Papperlapapp, das ist doch kompletter Unsinn! Wer sich ein bisschen auskennt, weiß, dass der Job damals nicht mehr als ein Klacks war. Baumaterial lag ja genügend herum, und was da vorher gestanden hatte, hatte eh nur noch Schrottwert gehabt. Jeder in meiner Situation hätte so gehandelt. Ich hab rein zufällig als Erster damit angefangen, und bis die anderen checkten, dass da was geht, war ich schon fast durch damit.
Dann erzählen Sie doch bitte ein bisschen darüber, wie das damals war, als Sie Deutschland nach dem Krieg ganz alleine wieder aufgebaut haben?
Hab oben angefangen und unten wieder aufgehört.
Was – erst das Dach, dann das Haus?
Nein, Sie Dummi: von oben an der Küste bis unten in Bayern.
Ihre Frau hat Ihnen bestimmt dabei geholfen! Eine echte Trümmerfrau, stimmt ’s? Mit Kittelschürze und Kopftuch klopfte sie garantiert mit bloßen Händen den Zement von den Ziegelsteinen, oder?
Ach, i wo! Die hat sich amüsiert, ist tanzen gegangen. Wenn ich zu ihr gesagt habe: „Kannst du nicht mithelfen? Wir bauen Deutschland wieder auf, damit in 70 Jahren neue Nazi-Parteien gegen Bürgergeld und Flüchtlingshilfe hetzen können“, dann hat sie nur gelacht. „Du hattest jetzt sechs Jahre lang deinen Spaß im Krieg“, hat sie gesagt, „jetzt bin ich dran. Übrigens möchte ich dich ungern daran erinnern, dass du den Hitler …“, hat meine Frau gemeint – aber egal, das gehört hier nicht her.
Aber insgesamt spielten Trümmerfrauen doch eine wahnsinnig wichtige Rolle, oder?
Reine Wichtigtuerei, das sage ich Ihnen. Was hätten wir denn sonst zu tun gehabt? Die Rüstungsindustrie steckte in einer tiefen Krise, die ganzen Wehrmachtsführerscheine waren mit einem Schlag ungültig geworden – man konnte nicht einmal mehr eine Fahrt ins Blaue machen, selbst wenn der Holzvergaser ansprang! Nichts hatten wir, nicht einmal Oreos oder Facebook-Konten …
Wie lange haben Sie für den Wiederaufbau Deutschlands eigentlich gebraucht?
Lassen Sie mich nachdenken, hmm, schwierige Frage … ungefähr bis kurz bevor Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, also so 1953 herum. Kann das sein?
Fast … was würden Sie eigentlich anders machen, wenn Sie heute nochmal dieselbe Wiederaufbauaufgabe in Angriff nehmen müssten?
Ach, wissen Sie, nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Bielefeld hätte ich mir sparen können. Es war aber nicht abzusehen, dass plötzlich alle glauben, die Stadt gäb’s gar nicht. Dabei ist die mir ganz gut gelungen, finde ich. Im Gegensatz zu Stuttgart. Und Frankfurt. Und Nürnberg. Und Kiel. Und Ingolstadt. Und Neu-Ulm. Und Aachen. Vielleicht hätte ich die besser weglassen sollen … nein, hahaha, ich mache nur Spaß. Aachen ist mir sehr gut gelungen.
Und die anderen? Würden Sie nicht mehr aufbauen?
Nein, wüsste nicht, wozu.
Gehen Sie regelmäßig Flaschen sammeln, so wie alle Rentner, die, so steht es verlässlich in der Bild, um ihre Lebensleistung betrogen werden?
Ach Gottchen! Als ob irgendjemand heute darben müsste! Ich hatte damals ja überhaupt nichts mehr. Mein komplettes Gepäck war in Russland geblieben, die ganze Beutekunst, Uhren, Sowjetwimpel und so weiter. Und irgendjemand musste Deutschland doch aufbauen, oder? Ich sagte mir also: es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Bin viel herumgekommen, war ’ne schöne Zeit früher. Später hab ich im Lotto gewonnen, finanzielle Sorgen kenne ich nicht.
Emil Meyer, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Wenn’s unbedingt sein muss …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen