: „Ampel hat Kraft gekostet“
■ Zehn Jahre nach der Ampel: Am 14. Mai 1995 sind die Bremer BürgerInnen aufgerufen, eine neue Bürgerschaft zu wählen. Drei Monate zuvor war die Bremer Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen nach nur dreieinhalb Jahren Regierungszeit zerbrochen. Zehn Jahre danach hat die taz die drei damaligen Protagonisten nach den Gründen des Scheiterns und den Konsequenzen aus dem ungewöhnlichen Bündnis gefragt.
taz: Herr Wedemeier, warum ist die Ampel-Koalition zerbrochen?
Klaus Wedemeier (SPD): Ein zentraler Grund war sicherlich, dass die FDP darauf spekuliert hat, den grünen Umwelt- und Stadtentwicklungssenator Ralf Fücks abzuwählen, um danach bei Neuwahlen besser abzuschneiden – eine Strategie, die nicht aufging. Zentrale inhaltliche Gründe für das Scheitern gab es eigentlich nicht.
Waren nicht die verschiedenen Interessen zwischen Wirtschaftspolitik (FDP) und Naturschutz (Grüne) entscheidend?
Natürlich war das ein Anlass, der die Probleme besonders hervortreten ließ. Letztlich stimmte aber vor allem die Zusammenarbeit im Senat nicht mehr – besonders nicht zwischen Claus Jäger (FDP) und Ralf Fücks (Grüne).
Was hat gefehlt?
Die Abgeordneten der FDP hatten keine oder kaum Erfahrung im parlamentarischen Umgang mit den Grünen. Die Grünen waren und blieben Oppositionspartei. Wie sich herausgestellt hat, war diese Partei damals nicht regierungsfähig.
Was hat Sie dann bewogen, als Bürgermeister eine Ampel-Koalition zu führen?
Die SPD hatte nach den Wahlen 1991 die absolute Mehrheit der Stimmen verloren. Rot-Grün hätte damals keine Mehrheit gehabt. Eine Mehrheit in der SPD wollte eine Ampel versuchen. Ich hätte lieber eine große Koalition gebildet. Das aber hat der Landesvorstand in seiner Mehrheit nicht gewollt – übrigens auch Henning Scherf nicht. Ich habe mich den Parteirealitäten gebeugt.
War denn die Ampel von vornherein ein Fehler, oder gab es auch Leistungen, auf die sie heute stolz sind?
Wir haben, begleitet von bösen Beschimpfungen durch die CDU, das Sanierungsprogramm erarbeitet und in Bund und Ländern durchgesetzt, von dem die große Koalition heute noch lebt. 1993 wurden die Stahlwerke Bremen gegen den erbitterten Widerstand der CDU gerettet. Zu dieser Zeit haben wir in der Koalition noch richtig zusammengehalten. Nur die Öffentlichkeitsarbeit der Koalition war unterirdisch.
Und Sie ein wandelnder Vermittlungsausschuss.
Ja, das war ein großes Problem. Ich musste nicht nur zwischen FDP und Grünen vermitteln, sondern auch in meiner eigenen Partei und Fraktion. Viele in der SPD dachten noch, dass wie in Zeiten der absoluten Mehrheit der Landesvorstand oder der parteitag selbstherrlich die Richtlinien der Politik bestimmt. Doch die SPD war nicht ausschlaggebend für den Bruch der Ampel.
Wann wussten Sie, dass die Ampel nicht mehr zu retten ist?
Geahnt habe ich es ab Mitte 1993. Die Koalition trug alle Konflikte öffentlich aus, das Ansehen der Regierung schwand mehr und mehr. Die drei Fraktionen arbeiteten nicht mehr verlässlich mit, sondern offen gegeneinander. Nach zwei Jahren Ampel lief das ab wie jetzt nach zehn Jahren großer Koalition. Und auch in der SPD mehrten sich Stimmen, die gegen die Ampel waren. Damals bildete sich das Bündnis „Arbeit für Bremen“ (AfB), das überwiegend aus SPD-Mitgliedern bestand. Die Fraktionsführung war nicht in der Lage, ein einheitliches Bild der SPD-Fraktion herzustellen – und beim Landesvorstand war es auch nicht besser.
Haben Sie jemals vor der Piepmatz-Affäre daran gedacht, die Brocken hinzuwerfen?
Oh ja. Während eines Urlaubs in Italien im Sommer 1993 hatte ich, wissend von einer gegen mich gerichteten Intrige innerhalb der SPD, ein Rücktrittsschreiben verfasst, das ich aber nach einer Intervention meines Staatsrats Hans Helmut Euler nicht abgeschickt habe. Nach der Wahl 1995 habe ich die Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis der SPD übernommen. Der Landesvorstand der SPD hätte mit mir keine große Koalition gemacht, ich war ihnen angeblich als „Rechter“ zu verdächtig dafür. Und Henning Scherf hat meine Idee damals ein „Resignationsmodell“ genannt. Heute ist er vom Gegenteil überzeugt, was mich freut.
Bei den Wahlen am 14. Mai 1995 hat die SPD 5,4 Prozentpunkte verloren. Warum?
Viele potenzielle SPD-Wähler sind nicht zur Wahl gegangen, auch weil die Partei damals zerschlissen und verbraucht erschien – und das hing sicher auch mit der Ampel zusammen. Die AfB bekam damals über zehn Prozent. Wenn Sie das mit dem SPD-Ergebnis zusammenzählen, kommen Sie auf 44 Prozent – so viel, wie uns Umfragen noch im Dezember 1994 prognostiziert hatten.
Die SPD hat sich von diesem Wahltief nur bedingt erholt. War die Ampel ein Fehler?
Nein, die Verdienste, die diese Koalition hat, werden heute weitgehend unterschätzt, auch bewusst geleugnet und verschwiegen. Dennoch ist meine Erfahrung, dass man mit diesen drei Parteien keine Koalition erfolgreich gestalten kann. Nicht nur, weil mich diese Koalition sehr viel mehr Kraft als nötig und zulässig gekostet hat.
Wie ist ihr Verhältnis zu den Protagonisten von FDP und Grünen heute?
Mit Ralf Fücks habe ich vor langer Zeit ausgiebig Kaffee getrunken und geplaudert. Er sieht heute auch manches anders als damals. Und auch mit Claus Jäger verstehe ich mich heute besser als in den vergangenen zehn Jahren.
Was hätten Sie aus heutiger Sicht damals anders gemacht?
Ich hätte den Koalitionspartnern wie den Abweichlern in den eigenen Reihen spätestens Mitte 1994 ernsthaft mit vorzeitigen Neuwahlen drohen müssen. Nach der Wahl 1995 war es nur durch meinen Rücktritt zu erreichen, dass in der SPD überhaupt über eine große Koalition nachgedacht wurde. Persönlich war ich an dem Punkt angekommen, der mir sagt: Es geht keinen Tag weiter.
Interview: Kay Müller
Klaus Wedemeier (61, Foto oben), kaufmännische Ausbildung, bis 1979 im Handel und der Wohnungswirtschaft tätig, 1971 in die Bürgerschaft gewählt, 1979 Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion, 1985 bis 1995 Bürgermeister und Präsident des Senats, anschließend bis 1999 wieder Abgeordneter, seitdem als selbstständiger Unternehmensberater tätig.