ausgehen und rumstehen
: Die Freuden der Beat-Musik und das Glück beim Chinesen

Der Tag konnte nur unerträglich werden. Das war schon klar beim ersten, zu schnellen Augenaufschlag. Das Radio weckte mich mit einem Lied, das in mir ungewollte Erinnerung weckte, der Nachbar machte schlimme Sachen, die niemand hören will. Die Bettdecke klebte an den Schenkeln, meine Kehle schmerzte. Ich stand gar nicht erst auf. Draußen dunkle Wolkenschübe, auf dem Glas der Fenster getrocknete Ränder und Flecken von Regentropfen.

So stockte die Zeit, es wurde dann dunkel wie immer. Bald war durch die Wand beim Nachbarn die Melodie von „Wetten, dass …?“ zu hören: Wirklich, das war mehr als genug. Ich fuhr mit der Straßenbahn zum Kesselhaus, um Hot Hot Heat sehen.

Bedauerlicherweise hatte ich vergessen, die M10 zu meiden, die Partylinie der Stadt. Nachtkulturmagazine könnten hier gut einen Beitrag über die Nonkonformität der Stadt drehen. Bald werden alle Musikvideos nicht mehr am Alexanderplatz im Bahnhof der U5 spielen, sondern in der total lässigen M10.

Hot Hot Heat waren dann eben, wie heiße Gitarrenbands nun mal sind: Unbegreiflich schön anzuschauen, unbegreiflich schön anzuhören. Beim Publikum alles so wie immer: Seitenscheitel, Turnschuhe, Ponyschöpfe. Mein Tag blieb trotzdem unerschütterlich schlecht, daran war nicht zu rütteln. Hot Hot Heat konnten da auch nichts machen, so sehr sie in besseren Zeiten lullen mögen.

Ich ging zur Freundin um die Ecke. Sie gab mir Wodka, und ich verlangte nach Musik, die uns begeistert. Inzwischen war das einfach, wir hatten uns schon ein wenig aus der tatsächlichen, grantigen Lage weggetrunken. Die Bedingung war, nur noch Musik von Menschen mit dünnen Oberlippenbärtchen und klackenden, glänzend geputzten Schuhen zu hören: „Die Originaltitel aus dem Beatles-Film der United Artists Hi-Hi-Hilfe“, The Kinks, Le Tigre. Es war schwierig, die Lieder überhaupt zu Ende zu hören vor lauter Vorfreude auf das nächste großartige Stück.

Später des Nachts trafen wir in der Wohnung über einer Bank in einer beliebten Touristenstraße ein. Zwei Freunde legten auf, sie sahen aus wie die Beat-Musik, die wir uns vorher zur Prämisse des Abends gemacht hatten. Plötzlich waren nur noch Freundinnen um mich und alle waren sie schön, so schön. Es war nicht mehr heimzugehen in dieser Nacht, es schien keinen Sinn mehr zu machen.

Aber plötzlich wollte uns die Stadt wollte nicht mehr so recht. Das Bassy wies uns ab, es wäre Zeit zu schließen. Die 8mm-Bar, unsere gewohnte Zuflucht, hatte schon zu – gibt es etwas Einsameres, als im Regen morgens um sechs vor geschlossenen Rollos zu stehen? Im Kaffee Burger war es ganz arg. Nur noch unansehnlich fröhliche Menschen, völlig aus dem Takt. Grapscher und Klapse auf den Hintern und sonstige Körperstellen. Der Blick war nur auf den zerkratzten Boden zu richten, denn jeder erhobene in die Runde wurde als Aufforderung aufgefangen.

Um neun setzte ich mich in die S-Bahn und fuhr zum Blockseminar an der FU. Das war ganz einfach, es gab keinen Anlass, dies qualvoll zu finden. Am Thielplatz standen vorne gescheitelte Männer in Krawatte und Pullunder neben ihren weißen, hübschen Porsches, auf dessen Motorhaube sich rosa Blüten geschüttelt hatten. Mein Kopf war benommen von der übermäßigen Ballung an Grün.

Nach dem Seminar in bester Gesellschaft Feuertopf beim Chinesen, das Glück in den Magen schaufelnd. Auf einmal so ein unbeschwertes Wochenende. Ist es denn zu fassen?

JANE FRÄNZEL