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Viel Spaß mit gebrochenen Herzen

Herzluftballons, Kunstschnee auf Heizungen, Nelken im Mülleimer: Das Künstlerinnenduo Fort macht aus der Bremer Weserburg ein „Fantasy Island“ mit Liebessymbolen

Immer höher wollen die Herzballons steigen, bis ihnen das Gas ausgeht Foto: Tobias Hübel/Weserburg

Von Jens Fischer

Glücksprall, wehmütig, entzaubert – mit einem schwebenden Wald der Liebessymbole bespielt das Künstlerinnenduo Fort einen Durchgangsraum des Bremer Museums Weserburg. Im „Broken Hearts Club“, so der Werktitel, erkunden plastikgrellrote Herzchenballons die Decke nach Möglichkeiten, sich in noch größere Höhen zu erheben, andere sinken bereits herab, taumeln nur noch auf Augenhöhe herum, einige liegen erschlafft darnieder und werden von Besucherfüßen getreten. Allein mit diesen Erfahrungen geisterten die Ballons in den ersten Nächten der Ausstellung durchs Museum, was Bewegungsmelder aktivierte und die Polizei ins Haus holte.

Seither müssen sich die Freiheit liebenden Herzen abends in einen Nebenraum sperren lassen. Wohl bei jedem, der durch diese in ständiger Bewegung befindliche Installation bummelt, werden eigene Geschichten von himmelhochfliegender, erschöpfter, zermürbter, am Boden zerstörter oder sicherheitshalber weggeschlossener Liebe wachgerufen.

Das ist die künstlerische Strategie der „Fantasy Island“ betitelten Ausstellung, die ein Ort sein will, in dem Menschen mit ihren Ängsten, Hoffnungen, Wünschen und den Fantasien ihrer Erfüllung sowie den Fragen nach ihrer Notwendigkeit konfrontiert werden. Fort, das sind die gebürtige Bremerin Alberta Niemann (studierte freie Kunst in der Klasse Andreas Slominski an der HfbK Hamburg) und die Frankfurterin Jenny Kropp, Meisterschülerin bei Jean-François Guiton an der HfK Bremen. Zum Wintersemester 2023/2024 erhielten sie die Professur für Bildhauerei (Skulptur/Installation/Raumkonzeption) im Studiengang Freie Kunst der Muthesius Kunsthochschule in Kiel.

Seit 2008 arbeiten die Künstlerinnen zusammen und bedienen sich gern bei vorgefundenen Materialien, transformieren und inszenieren also Alltagsgegenstände, die durch solche Kontextverschiebungen mit Bedeutungsmöglichkeiten aufgeladen werden.

In Bremen präsentieren sie auf einer Weserburg-Etage zwölf Werke mit großem erzählerischem Potenzial. Über den emotionalen Moment der Begegnung können Betrachtende auch ohne jede Kunsterfahrung die Werke für sich aufschließen. Niemann/Kropp platzieren etwa eine Tüte Kunstschnee auf einem Heizkörper, schreiben „Einsame Winter“ daneben, sodass bei den meisten Menschen wohl sofort persönliche Assoziationen losrattern.

Fort. Fantasy Island: bis 25. 5., Weserburg, Bremen, weserburg.de

Schräg gegenüber ist eine Plastikmüllbox, bekannt von Straßenbahn-Haltstellen, an die Museumswand gedübelt, darin steckt ein Strauß Nelken in Cellophan. Auch diese „Guilty Flowers“ rufen prompt Empfindungen wach – wie Trauer, Verzweiflung, Wut. Ja, da geht man ins Museum, will was Erhebendes, intellektuell und ästhetisch Anregendes erleben, was Schönes sehen – und muss plötzlich mit Erinnerungen an enttäuschte, verfehlte, geplatzte Begegnungen kämpfen oder an andere Momente des Scheiterns denken.

Künstlerinnen können so gemein sein, wenn sie wie hier keine eindeutigen Aussagen implizieren, aber mit eindeutigen Verweisen auf unser aller Realität die Verantwortung dafür, was die Fort-Kunst bedeuten soll, aufs Publikum schieben. Einerseits. Andererseits kann man auch die kuratorischen Kommentare als Ausgangspunkt ausladend sozialkritischer Betrachtung nehmen. Fort stellen beispielsweise Wand­elemente eines geschlossenen Eisenwarengeschäfts wie Bilder aus, auf denen die einst dort aufgehängt angepriesenen Waren – etwa Ketten und Taue – noch unscharf als Schattenriss zu erkennen sind. Als Interpretation schlägt die Beschriftung neben der Werkgruppe vor, angesichts des Titels „Bye Buy“ könne vom „Erinnerungsbild einer sich wandelnden Gesellschaft“ gesprochen werden.

Für „Leck“ haben Fort die Einrichtung einer „Schlecker“-Filiale aufgebaut Foto: Tobias Hübel/Weserburg

Privat und politisch wahrzunehmen ist auch „Leck“: Einen Ausstellungsraum füllt die komplette Einrichtung einer ehemaligen „Schlecker“-Filiale, total ausgeräumt, nur das Kassenband dreht noch ächzend seine Endlosrunden. Die Tristesse der Leere kann Rückblicke auf die Covidzeit, Erinnerungen an Einsamkeit, Depression oder das kollektive Gedächtnis zum Thema Krieg erwachen, aber auch Leerstände in der Bremer City assoziieren lassen. Andere spüren vielleicht klammheimliche Freude über die Pleite des Drogeriediscounters, der seine Beschäftigten besonders dreist ausgebeutet hatte.

Besonders beeindruckend: eine fünf Meter hohe, schon ziemlich ramponierte Kunststoff-Faust auf einem Eisen­skelett aus einem DDR-Kombinat, daran gelehnt ein Fahrrad aus BRD-Fertigung der Marke „Hercules“, nach dem das Werk benannt ist. Fort-Kunst macht nicht nur hier mal traurig, dort mal wütend, sondern vor allem viel Spaß.

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