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Verschwendung an der Wurzel packen

Brühe aus Gemüseresten oder Pesto aus Radieschenblättern – aus vermeintlichen Abfällen lässt sich einiges zaubern. Das Projekt Roots Radicals zeigt, wie das auch zu Hause geht

Aus Berlin Ulrike Wiebrecht

Was die Roots Radicals in ihrer Küche machen, ist eine kleine Sensation. Nicht nur könnte das, was für 10,50 Euro auf den Tellern der Berliner Kantine liegt, einem – gewiss, in kleineren Portionen und mit ein bisschen mehr Schnickschnack – auch in einem Sternerestaurant serviert werden. Zudem und vor allem sind die verwendeten Zutaten besonders. Was hier zum aufregenden Reisgericht oder zu geschmacksintensiven Minestrone-Suppen, Soßen oder Pestos verarbeitet wird, entstammt ausgemustertem Bioobst und -gemüse. Krumme Karotten, schrumpelige Kartoffeln, angestoßene Auberginen: oft landet dergleichen im Müll.

Gemäß der Zero-Waste-Philosophie versuchen Roots Radicals, Lebensmittel möglichst vollständig zu verwerten und so gut wie keine Abfälle zu produzieren. Ein Konzept nicht nur für Restaurants und Kantinen – das Berliner Projekt will zeigen, wie es auch zu Hause funktioniert.

Der Kopf hinter dem Team ist ­Monica Kisic Aguirre. Die Frau mit den kurzen, durcheinandergewirbelten Haaren und dem schwarzen ­Hoodie wurde in Lima geboren und hat sich schon immer für Essen interessiert. Bei ihrer Mutter und Großmutter schaute sie in die Kochtöpfe, und nach Stationen in etlichen Küchen, Städten und Ländern landete die Peruanerin schließlich in Berlin und begann 2018 zusammen mit ihrem Bruder das Konzept von Roots Radicals zu entwickeln. Vier Jahre später eröffnete dann die Kantine.

„Ich wollte mein Wissen über die nachhaltige Herstellung und Konservierung von Lebensmitteln teilen, mit anderen eine Community gründen und generell zu einem anderen Umgang mit Lebensmitteln beitragen“, erinnert sie sich an die Anfänge des Projekts. Schließlich würden in deutschen Haushalten zwischen 76 und 82 Kilo Lebensmittel pro Person und Jahr weggeworfen, wovon 40 Prozent auf Obst, Gemüse, Brot und Käse entfallen.

In Workshops zeigen Roots Radicals, wie man aus altem Brot frische Nudeln macht

Einige Abfälle entstehen aber auch in ihrer Küche. Die landen allerdings auf dem Kompost draußen im Garten, wo sie der Soil Social Club – ein weiteres Community-Projekt, das sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat – in humusreiche, terra preta genannte, besonders fruchtbare Erde wandelt und damit die Kräuterbeete anreichert. Eine perfekte Kreislaufwirtschaft, die sich gut eingespielt hat.

Um die Zero-Waste-Philosophie konsequent durchzudeklinieren, haben die Köchinnen und Köche um Monica Kisic Aguirre und die Spanierin Cayetana Melero auch eine Reihe von Produkten entwickelt, die in der Kantine, auf Märkten oder im Internetshop verkauft werden. Mithilfe einer Crowdfundingkampagne sollen sie jetzt auch Eingang in große Supermärkte finden. Scharfe-Harissa-Soßen, eine Paste aus geröstetem Knoblauch, süß-sauer eingelegte Pflaumen, geräuchertes Ananas-Chutney, Zero-Waste-Kimchi oder Marmelade aus grünen Tomaten: Was sonst in der Tonne gelandet wäre, wird so haltbar gemacht und zum originellen Gourmetprodukt upgecycelt. „Der Renner sind fermentierte Salzzitronen, die Salaten oder Pasta-Gerichten ein besonders apartes Aroma verleihen“, sagt ­Kisic Aguirre. „Davon können wir gerade gar nicht genug herstellen.“

Und wie lassen sich nun zu Hause Essensreste verwerten? Roots Radicals bieten dazu Workshops an, und auch auf Flyern in der Kantine finden sich Tipps. Sie regen beispielsweise dazu an, aus Radieschenblättern ein schmackhaftes Zitronenpesto zu machen. Dazu eine Handvoll Blätter mit einer Knoblauchzehe, Pinienkernen, Olivenöl, Salz, Zitronensaft und abgeriebener Zitronenschale mixen.

Karottengrün, Koriander- und Petersilienstengel lassen sich hingegen zu einer grünen Chimichurri-Soße verarbeiten, indem man sie fein hackt und mit Knoblauch, kleingeschnittener Zwiebel, Olivenöl, Essig, Chiliflocken und etwas Wasser mischt. Zugegeben, bis man aus Blumenkohlblättern ein schmackhaftes Kimchi oder aus Zitronenschale süße Candys hinbekommt, bedarf es schon einiger Übung. Einfacher ist es, Kartoffelschalen – hier lohnt sich Bioqualität! – zu knusprigen Chips zu frittieren. Oder aus gesammelten Gemüseresten eine Brühe zu kochen, die dann als Grundlage für Suppen, Risottos oder herzhafte Eintöpfe dient.

Kartoffelschalen? Perfekt geeignet für Chips Foto: urfinguss/getty images

Denjenigen, die gar nicht wissen, wie sie anfangen sollen, empfehlen Kisic Aguirre und ihr Team, im Kühlschrank zwei Behälter zu platzieren. In ihnen soll man jeweils süße und herzhafte Reste sammeln, um dann nach einer Woche zu überlegen, was man daraus machen kann. Haben sich zum Beispiel Paprika-, Tomaten- oder Zucchinireste angesammelt, können sie kleingeschnitten auf Toastbrotscheiben verteilt und mit Käse zur schnellen Minipizza gebacken werden.

Geduldigen Kö­ch:in­nen demonstrierte Roots Radicals auf der Grünen Woche im vergangenen Januar, wie man aus übrig gebliebenen Lebensmitteln einen ganz persönlichen Essig herstellt. Dazu durften sich Interessierte aus einem riesigen Sortiment von getrockneten Zitronen- und Mandarinenschalen, getrockneten Erdbeerblättchen, Chili, Kräutern und benutzten Teeblättern bedienen, die zusammen mit einem gewöhnlichen Essig in eine Flasche gefüllt werden. Verwenden kann man das fertige Produkt allerdings erst, wenn der Essig mehrere Wochen durchgezogen ist.

Schneller ging es in dem Workshop, der zeigte, wie man aus altem Brot schmackhafte Pasta macht. Dazu werden die Brotreste fein gemahlen, je 100 Gramm mit der gleichen Menge Mehl vermischt, und mit einem Ei und etwas Wasser zu einem glatten Teig verknetet. Nach 30 Minuten wird die Masse ausgerollt, zu einer Rolle geformt und in feine Tagliatelle geschnitten, die dann drei Minuten in Salzwasser garen müssen. Zusammen mit einer leckeren Tomatensoße zauberte diese Upcycling-Pasta ein zufriedenes Lächeln in viele Gesichter.

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