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Start zum 8.848-Meter-Rennen

Im Frühjahr kommt es am Mount Everest zu einem sehr besonderen Duell: Die Speedclimber Tyler Andrews und Karl Egloff wollen unabhängig voneinander am höchsten Berg der Welt einen Geschwindigkeitsrekord brechen

In nur 20 Stunden hin und zurück: der Mount Everest Foto: imago/imagebroker

Von Martin Krauss

Tyler Andrews klettert nicht gern. Der 34-jährige Amerikaner will ja auch bloß auf den Mount Everest. Mit Bergsteigen hat er erst angefangen, als er 31 Jahre alt war. Vorher war er Langstreckenläufer.

Karl Egloff ist zwar Alpinist mit Bergführerdiplom, aber begonnen mit dem Alpinismus hat der 44-Jährige, der die ecuadorianische und die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzt, als Radsportler. Erst mit 28 Jahren zog es ihn in die Berge.

Andrews und Egloff planen nun unabhängig voneinander, in dieser Frühjahrssaison den Geschwindigkeitsrekord bei der Besteigung des höchsten Bergs der Erde zu brechen. In weniger als 20 Stunden wollen sie vom auf 5.364 Meter Höhe liegenden Basecamp aus auf den 8.848 Meter hohen Gipfel und wieder zurück, und das Ganze ohne künstlichen Sauerstoff. Beide planen ihre Aktion über die Südroute, von Nepal aus. Die gilt als die leichtere Strecke, und vor allem werden hier von einheimischen Bergsteigern vor jeder Saison Routen gespurt und Fixseile verlegt. In den vergangenen Jahren hat es an diesem Anstieg immer wieder Staus gegeben, der teils stundenlange Stillstand sorgte auch für Erfrierungstote.

Egloff und Andrews wollen deshalb erst Ende Mai antreten, wenn die meisten der Everest-Touristen runter vom Berg sind. Doch dann gibt es für die beiden nur ein sehr kleines Zeitfenster, bis die Regenzeit einsetzt und eine Besteigung unmöglich ist. Tyler Andrews sieht das Problem locker. „Als der bisherige Rekord gebrochen wurde, waren zwar definitiv weniger Menschen am Berg“, sagte er dem Onlinemagazin „Outside“. „Aber dafür gab es keine 10.000-Dollar-Espresso-Maschine im Basecamp. Es gibt also Vor- und Nachteile.“

Weder Andrews noch Egloff sind naive Neulinge. Egloff gilt als „Legende in der Szene“ (Neue Zürcher Zeitung). Bis 2011 fuhr er Mountainbike, nahm auch an einer WM teil, aber seither ist er auf Speedbegehungen von Bergen spezialisiert. Andrews gehörte zu den besten Marathon- und Ultraläufern der USA, doch während der Covidpandemie brachen ihm die Einnahmen weg: keine Rennen, keine Preisgelder. Ein Sponsor bot ihm an, in den Bergen Weltrekorde zu laufen, und das tat er dann auch.

Es geht um FKT, das Kürzel steht für „Fastest Known Time“, die schnellste bislang bekannte Zeit, einen Berg zu besteigen. Und das ist der Sport, den Andrews, Egloff und noch eine Handvoll anderer Athleten mit großem ­Risiko ­betreiben: Speed Climbing.

„Meiner Meinung nach gilt: Wer oben ist, ist oben. Mir ist egal, wie man absteigt“

Tyler Andrews, Extrembergsteiger

Allein am Mount Everest, zwar der höchste, aber nicht der spektakulärste Berg der Erde, sind verschiedene Rekorde gelistet. Im Jahr 2003 lief beispielsweise Lhakpa Geul Sherpa aus Nepal in 10:56 Stunden hoch und wieder runter, allerdings mit künstlichem Sauerstoff. 1998 stieg Hans Kammerlander aus Südtirol in 16:45 Stunden über die technisch schwierigere Nordseite auf, aber er fuhr mit Skiern hinab. Andrews und Egloff orientieren sich an Kazi Sherpa aus Nepal. Der schaffte es 1998 in 20:24 Stunden, aber im Abstieg benutzte er Sauerstoff aus der Flasche, was zumindest Andrews gleichgültig ist. „Meiner Meinung nach gilt: Wer oben ist, ist oben. Mir ist egal, wie man absteigt“, sagte er dem Onlinedienst „explorersweb“.

Im klassischen Bergsteigen ist das nicht egal. Spätestens seit Reinhold Messners Achttausender-Expeditionen in den 1970er- und 1980er-Jahren ist die Verwendung von Sauerstoff aus Flaschen im Höhenbergsteigen schlecht beleumdet. Wer sich der Flaschen bedient, die auch zu großer Verschmutzung am Berg geführt haben, sind die vielen Everest-Touristen, die Jahr für Jahr in steigender Zahl ins Basecamp kommen und sich für fünfstellige Dollarbeträge auf den Gipfel führen lassen. Ohne künstlichen Sauerstoff waren bislang nur etwa 230 Menschen auf dem Everest. Mit dieser Unterstützung jedoch waren es Tausende. Für die werden auch jährlich Fixseile angelegt, an denen sie sich bei Auf- und Abstieg sichern können. Für einen wie Messner ist so etwas kein Bergsteigen.

Bloß: Speedclimber wie Andrews und Egloff verstehen sich in erster Linie gar nicht als Bergsteiger. „Im Klettern bin ich technisch limitiert“, bekannte Tyler Andrews in der NZZ. Im Herzen bleibe er Leichtathlet. Er sei kein Alpinist, sagte er an anderer Stelle. „Ich betreibe einfach einen anderen Sport, bei dem ich Methoden und Philosophie aus dem Trailrunning und sogar der Leichtathletik in die großen Berge bringe.“ Und Karl Egloff, der in seiner Jugend beim FC Zürich gekickt hat, ging eine Partnerschaft mit seinem Ex-Klub ein. „Der FCZ geht auf den Mount Everest“, verkündete der Klub jüngst, und Egloff versprach, ganz oben einen Vereinswimpel zu setzen.

Karl Egloff kommt vom Elbrus, 2016 Foto: imago/itar-tass

Das Onlinemagazin „alpin.de“, das im deutschsprachigen Raum zu den ersten gehört, die über Egloffs und Andrews‘ Projekte kompetent berichteten, handelte sich von der Leserschaft gleich Kritik ein, wieso sie solche Artikel brächten: Das sei doch Sport und kein Bergsteigen. Die Redaktion verteidigte sich: „Der Trend zum ‚schneller, höher, weiter‘ wird von uns ja durchaus kritisch gesehen und entsprechend eingeordnet.“ Es geht um die Frage, ob Bergsteigen Rekordsport werden darf, ob damit nicht diese Art der Naturbewältigung ihres Sinns beraubt wird.

Tyler Andrews und Karl Egloff sind tatsächlich Rekordjäger. Egloff schaffte seine erste Bestmarke 2012, als er in seiner Heimat Ecuador den 5.897 Meter hohen Cotopaxi in 1:37 Stunden bezwang. Später nahm er sich das Projekt der „Seven Summits“ vor, das Besteigen des je höchsten Gipfels der sieben Kontinente. Dies wird im klassischen Bergsteigen teilweise schon als Vorstufe des Rekordalpinismus kritisiert. Egloff schert das nicht, er war schon auf dem Kilimandscharo in Tansania, dem Elbrus in Russland und dem Denali in Alaska – der von Donald Trump bald wieder in Mount McKinley rückbenannt werden soll. 2022 bestieg Egloff etwa den 8.463 Meter hohen Makalu im Himalaya: in 17:18 Stunden.

Tyler Andrews kommt vom Manaslu, 2024 Foto: Instagram/@@chrisjfish

Tyler Andrews’ Rekordliste ist nicht minder beeindruckend. Zuletzt konnte Andrews den 8.163 Meter hohen Manaslu in einer Zeit unter zehn Stunden bezwingen: in 9:52 Stunden. Danach erklärte er: „Ich denke, ich kann den Everest in 14 bis 15 Stunden besteigen.“

Solche Rekordmarken sind nur mit enormer Logistik zu meistern. „Dazu bedarf es eines Dorfes“, sagt Andrews. Zu Beginn der Everest-Route, beim sehr gefährlichen Khumbu-Eisfall, lässt er sich von seinem guten Freund Chris Fisher begleiten. Und oberhalb, wo er allein unterwegs sein wird, werden für ihn Verpflegungsposten eingerichtet.

Zur Logistik gehört auch, dass das von ihm mitzuschleppende Gepäck massiv reduziert wird. Den Achttausender Manaslu bewältigte Andrews in kurzer Hose, Multifunktions-T-Shirt und mit Trailrunningschuhen. Wenn ein plötzlicher Kälteeinbruch kommt, wäre das tödlich. „Am Manaslu war dieses Schuhwerk möglich, weil wir unglaubliches Glück mit dem Wetter hatten“, teilte Andrews mit und kündigte an: „Am Everest werde ich es mit schwereren Stiefeln versuchen.“

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