Leid in der Haasenburg und im Friesenhof: Bremen vergisst Heimkinder
Vor zwei Jahren beschloss das Landesparlament eine Studie zur Aufarbeitung der Ereignisse in den Heimen Haasenburg und Friesenhof. Passiert ist nichts.

Dafür war damals eine Kulturwissenschaftlerin im Gespräch, die bereits zur Geschichte von Heimen geforscht hatte. Im April 2023 fand ein Gespräch zwischen der damaligen grünen Sozialsenatorin Anja Stahmann und zwei ehemaligen Heimbewohnern statt. Auf der Jugendministerkonferenz im Mai 2024 wurde das Thema Entschädigung zumindest angesprochen. Aber von dieser Studie hat man nie wieder etwas gehört.
Die Haasenburg in Brandenburg und der Friesenhof in Schleswig-Holstein wurden Anfang der 2000er-Jahre eröffnet und von Jugendämtern aus dem ganzen Bundesgebiet belegt. Bremen hat im Laufe der Jahre sieben Mädchen im Friesenhof und neun Kinder und Jugendliche in der Haasenburg untergebracht.
Die Schließung der Haasenburg 2013 und des Friesenhofs 2015 wurde im Nachhinein von Verwaltungsgerichten als rechtswidrig eingestuft. Bis heute steht aber die Frage nach einer Entschädigung und Unterstützung der Bewohner im Raum. Die Studie, die die „individuellen und strukturellen Umstände“ der Unterbringung aufarbeiten soll, wäre ein wichtiger Schritt.
Auf die Frage, ob diese Untersuchung inzwischen abgeschlossen sei, antwortete der Sprecher der Bremer Sozialbehörde gegenüber der taz: „Eine wissenschaftliche Aufarbeitung hat es in Bremen nicht gegeben, sie ist der Diskontinuität anheimgefallen (der Antrag war im Wahlkampf verabschiedet worden)“. Die neue Bürgerschaft habe sich mit der Angelegenheit „nicht wieder befasst“.
Nachdem die taz bei den drei in Bremen weiterhin regierenden Fraktionen von SPD, Grünen und Linken nachgefragt hatte, ob sie damit einverstanden seien, korrigierte sich die Sozialbehörde. Es habe doch eine Befassung der Bremer Sozialdeputation mit dem Antrag gegeben, und zwar am 22. August 2024.
Dazu gibt es eine öffentliche Beschlussvorlage. In der Frage einer eigenen Studie vertritt Bremen unter der neuen Sozialsenatorin Claudia Schilling (SPD) nun den Standpunkt, dass die Stadt diese gar nicht allein durchführen könne. „Die Einrichtungen lagen in der Hoheit anderer Länder, das beschränkt natürlich den Handlungsspielraum Bremens“, so ihr Pressesprecher. Deshalb habe man „besonders nach der ‚Pleite‘ vor Gericht“ für eine Untersuchung „keinen Konsens“ mehr gefunden.
In der Beschlussvorlage wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom November 2023 zitiert, wonach die Schließung 2013 ja rechtswidrig gewesen sei. Das Gericht habe zwar nicht ausgeschlossen, dass es dort zu individuellen Kindeswohlgefährdungen gekommen sei, aber die für eine Schließung notwendige „strukturelle Kindeswohlgefährdung“ nicht erkannt.
In dem genannten Deputationsbeschluss beleuchtet die Bremer Verwaltung auch die Chancen der Betroffenen auf Entschädigung. Das Fazit ist ernüchternd. Ein Entschädigungsfonds nur für Jugendliche, die in der Haasenburg waren, sei aufgrund des Cottbuser Urteils nicht möglich, da dort keine strukturelle Gefährdung gesehen wurde. Es gebe auch andere ehemalige Heime mit „ähnlicher Geschichte“, eine Verengung auf die Haasenburg könne zu „Ungerechtigkeiten“ führen. Bei einer Ausweitung des Adressatenkreises auf alle stationär untergebrachten Kinder und Jugendlichen bestünde jedoch die Gefahr eines „Generalverdachts“ gegenüber der Kinder- und Jugendhilfe.
Es sei wohl so, teilt die Bremer Behörde weiter mit, dass weder Schleswig-Holstein noch Brandenburg und auch nicht die Mehrheit der anderen Bundesländer noch eine eigene Lösung für diese Betroffenen anstrebten. Ein verbessertes Kinder- und Jugendschutzgesetz, also eine Lösung für die Gegenwart und Zukunft, sei vorhanden. Lediglich Einzelanträge nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), bei dem körperliche Gewalt „Entschädigungstatbestand“ ist, würden derzeit noch geprüft.
Im Dezember 2023 hatte auch der Landtag Brandenburg seine Landesregierung aufgefordert, sich für einen Fonds aller Länder und des Bundes einzusetzen, um ehemalige Kinder und Jugendliche zu entschädigen, die seit 1990 „institutionelle Gewalt in Einrichtungen der Erziehungshilfe“ erfahren haben.
Linke und Grüne in Bremen drängen weiter auf Lösungen
Auf Nachfrage in Brandenburg teilt das dortige Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) mit, es habe eine „länderoffene Arbeitsgruppe“ zur Erarbeitung einer Beschlussvorlage für die Familienministerkonferenz initiiert. Auf Nachfrage, ob es zutreffe, dass dieser Entwurf nicht mehr aktuell sei, antwortet eine Sprecherin des MBJS, dass Brandenburg diesen Entwurf inzwischen in diese Arbeitsgruppe eingebracht habe. „Dieser Vorschlag wurde kritisch beleuchtet, das weitere Vorgehen wird geprüft.“
Linke und Grüne in Bremen wollen weiter auf Lösungen drängen. Sollte die bundesweite Fondslösung nicht weiterverfolgt werden, wäre das „mehr als bedauerlich“, sagte Linken-Fraktionschefin Sofia Leonidakis. Dies gelte auch für die externe Studie, sagt auch die Grünen-Sozialpolitikerin Sahhanim Görgü-Philipp. Sie habe mit einer Betroffenen aus Bremen gesprochen. „Die Berichte sind sehr krass. Das darf es in der Jugendhilfe nicht geben. Wir brauchen die Studie, damit so etwas nicht wieder passiert, sagt sie. Die Fachabteilung der Behörde schätze die Chancen dafür aber als „sehr gering“ ein, so ihr Sprecher.
Unterdessen hat sich Ende Februar in Berlin aus dem Kreis ehemaliger Haasenburg-Bewohner und anderer Careleaver der Verein K.I.N.D. gegründet, der sich für Aufklärung und Sensibilisierung einsetzt und „einen sicheren Hafen für Betroffene aus dem Kontext freiheitsentziehender Maßnahmen“ bieten will. Das Kürzel steht für „Kritische Impulse in der Kinder und Jugendhilfe – neuer Dialog“.
Alles nur Ausreden
Dessen Vorsitzender Renzo Martinez nennt die Entscheidung Bremens einen „Schlag ins Gesicht der Betroffenen“ und die Begründung eine Ausrede. Die Stadt München habe gezeigt, dass eine Entschädigung und lokale Aufarbeitung auch der jüngeren Heimgeschichte möglich sei. „Wir erleben seit Jahren, dass das Thema kurz vor Wahlen politisch instrumentalisiert wird, nur um danach wieder in Vergessenheit zu geraten“, sagt Martinez.
Die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Schließung der Haasenburg sei kein Argument, die Opfer nicht zu entschädigen, ergänzt die Co-Vorsitzende Michaela Heinrich-Rohr. „Da ging es um verwaltungsrechtliche Aspekte zwischen Betreiber und Ministerium. Die Opfer spielten keine Rolle.“ Die Ehemaligen litten unter den Langzeitfolgen, seien schwer traumatisiert und fänden keine Therapeuten. „Es geht hier um eine Gruppe von jungen Menschen, die jetzt konkret Unterstützungsbedarf hat und ihn einfach nicht bekommt.“
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