: Eine Einladung, Barrieren zu überwinden
Auf dem taz lab bieten wir die Übersetzung einer gesamten Bühne in die deutsche Gebärdensprache an
Eine Frau auf dem Bildschirm wischt wiederholte Male mit ihrer senkrecht gehaltenen rechten Hand über die flache linke. Dann ballt sie beide Hände zu Fäusten und lässt sie von oben nach unten aufeinanderprallen. In der deutschen Gebärdensprache sind das die Handzeichen für „weiter“ und „machen“. Auf der Webseite signdict.org kann man sich so alle deutschen Wörter übersetzen lassen.
Gebärdensprachen sind eigenständige, visuell-manuelle Sprachen – gesehene Sprachen. Weltweit gibt es über 300 Gebärdensprachen.
Auf dem taz lab freuen wir uns, dieses Jahr eine Sprache mehr anbieten zu können. Auf der Gelben Bühne im Besselpark werden sieben Veranstaltungen von zwei dolmetschenden Personen für Deutsche Gebärdensprache (GDS) und Deutsch begleitet.
Neben der Freude, dass die Übersetzung einer gesamten Bühne in diesem Jahr möglich sein wird, ist uns doch wichtig zu sagen: Wir möchten uns mit dieser Ankündigung nicht feiern. Eine einzelne Maßnahme wie diese garantiert noch lange keine vollständige Barrierefreiheit. Vielmehr verstehen wir es als ersten Schritt in die richtige Richtung – und als Einladung an alle, die diese Möglichkeit beanspruchen möchten. Ein besonderer Dank geht hierbei an Aktion Mensch, deren Förderung uns #1BarriereWeniger ermöglicht.
Trotz der Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache als offizielle Sprache im Jahr 2002 sprechen vergleichsweise wenige hörende Menschen DGS. Das liegt unter anderem daran, dass Gebärdensprache in der Gesellschaft, durch Unterdrückung und Verbote, lange wenig sichtbar war. Ein einschneidender Moment mit langwierigen Folgen markierte der Mailänder Kongress von 1880. Dort wurde entschieden, dass die Lautsprache im Unterricht Vorrang vor der Gebärdensprache haben sollte, was weltweit zu einem weitreichenden Verbot der Gebärdensprache führte. Erst im Jahr 2010 wurde dieser Beschluss beim International Congress on the Education of the Deaf offiziell zurückgenommen.
Auch heute noch fehlt es an flächendeckendem Unterricht, gesellschaftlicher Sensibilisierung und politischer Förderung. Barrieren bleiben und gehen häufig mit Diskriminierung einher. Audismus beschreibt die diskriminierende Haltung, die das „normale“ Hören als Standard setzt.
Kommunikation ist stets ein wechselseitiger Prozess. Das Dolmetschen der Deutschen Gebärdensprache und Deutsch schafft nicht nur den Zugang für gehörlose Menschen, sondern auch für hörende Menschen, die keine Gebärdensprache beherrschen. Es ist ein Angebot, Barrieren auf beiden Seiten der Kommunikation zu überwinden und ein inklusives Miteinander zu fördern.
Wir möchten, dass alle, die bisher vielleicht gezögert haben, sich willkommen fühlen. Barrierefreiheit braucht ein grundsätzliches Umdenken, ein bewusstes Hinterfragen bestehender Strukturen und eine langfristige Veränderung. Wir stehen sicherlich noch am Anfang, aber wir möchten diesen Weg gehen – und wir möchten Euch einladen, ihn mit uns zu gehen. Enna Bühler
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