: Frau Macht Kunst
… oder umgekehrt: In der Bremer Kunsthalle wirft das Jugendkuratorium „New Perceptions“ entschieden feministische Blicke auf das, was gemeinhin als schön gilt. Mit marginalisierter Kunst von Frauen
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Von Franka Ferlemann
In Museen haben sie vor allem eine Rolle: Seit Jahrhunderten sind Frauen die schönen Körper auf Leinwänden oder aus Marmor im Raum. Sie sind die zarten Musen, die kunstvoll inszenierten Objekte der Begierde. Werke von Künstlerinnen sind dagegen in Museen viel seltener zu sehen als die von Männern. Die Kunsthalle Bremen hat sie jetzt ins Rampenlicht gerückt. Zum Beispiel mit dem Wallpaper des queerfeministischen Kollektivs Maternal Fantasies. Das hat Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“ neu gedacht und es in „The First Supper“, das erste Mahl, umgedreht. Hier sitzen nun Frauen, Raben und Kinder am langen Tisch.
Die Ausstellung „Mis(s)treated. Mehr als Deine Muse!“ der Kunsthalle Bremen rückt feministische Perspektiven ins Zentrum. Sie zeigt auf, was übersehen wird. Das sind vor allem die Künstlerinnen selbst und ihre Werke. Präsentiert werden Themen wie Körper, Geschlechterrollen, Sorgearbeit und sexualisierte Gewalt. Viele der Darstellungen erheben Einspruch gegen gängige Schönheitsideale. Mutterschaft, queere Identitäten und kulturelle Prägungen rücken in den Vordergrund. Die Ausstellung macht dabei auch die Geschichte der Emanzipation von Künstlerinnen seit dem 19. Jahrhundert sichtbar. Die meisten Werke entstammen der Sammlung der Kunsthalle. Viele von ihnen wurden aber bisher selten gezeigt. Zeitgenössische Leihgaben ergänzen neue Sichtweisen.
Der Blick aufs erste Werk der Ausstellung irritiert: ein bronzefarbener Kopf, das Abbild eines Mannes. Geht es hier nicht um feministische Perspektiven? Ein Blick hinter die Entstehung klärt auf. Die Künstlerin Camille Claudel hat in diesem Werk von 1885 ihren Lehrer, Liebhaber und Kollegen Auguste Rodin abgebildet, in dessen Schatten sie ihr Leben lang stand. Das macht ihr Schicksal exemplarisch. Viele Jahre später hat sich in Sachen Gleichberechtigung zwar einiges getan. Trotzdem ist Kunst von Frauen noch immer die Ausnahme. „I can’t believe I still have to protest this shit!“, bringt eine Projektion von Razan Sabbagh diesen frustrierenden Befund schimmernd auf den Punkt.
Ausstellung „Mis(s)treated. Mehr als Deine Muse!“, Kunsthalle Bremen. Bis 2. 8.
Kunstpause zu Shirin Neshat, 6. 3., 13 Uhr
Internationaler Frauentag: Freier Eintritt am 8. 3. von 10 bis 17 Uhr, Führungen vom New-Perceptions-Team um 11 und um 12 Uhr, Plakataktion ab 13.30 Uhr
Noch stärker unterrepräsentiert sind queere Künstlerinnen und Künstlerinnen of Color. Die Ausstellung füllt diese Leerstelle. Postmigrantische Perspektiven werden zum Beispiel durch Kunst von Fatma Özay eingebracht. In ihrem auf einer Fotografie basierenden Werk sind ihre Großmutter und Schwester zu sehen, die die traditionelle Tarhana-Suppe zubereiten. In ihren Arbeiten thematisiert sie die Geschichte ihrer Familie und muslimisch geprägtes Leben in Deutschland. Elif Çeliks Acrylgemälde von 2023 zeigt eine Frau mit Kopftuch, rauchend mit einer Zigarette im Mund. Sie macht auf die Stereotypisierung von Verschleierung aufmerksam.
Was die Ausstellung besonders macht, sind auch ihre Kurator:innen. Denn New Perceptions, so heißt das Team, ist das Jugendkuratorium der Kunsthalle. Die hatte es initiiert, um die Perspektiven junger Menschen auf die Kunstschätze sichtbar zu machen. Seine erste große Ausstellung „Generation* – Jugend trotz(t) Krise“ war 2023 gezeigt worden. Die Resonanz war groß, auch weil diese praktische und, wie alles Geniale, naheliegende Jugendarbeit in anderen großen deutschen Kunstmuseen so gut wie nicht stattfindet. Zusammen mit Kustod:innen der Kunsthalle hat das New-Perceptions-Team nun auch die gegenwärtige Ausstellung entwickelt. Diesmal erheben die Jugendlichen auch im begleitenden Audioguide ihre Stimme und teilen ihre Gedanken zu den Werken. Das verleiht dem Besuch eine besondere Dynamik und schafft einen vielstimmigen Austausch.
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Dadurch wird auch der letzte Raum erträglicher. Bis zu diesem Punkt hatte der Gang durch die Ausstellung den Eindruck eines emanzipatorischen und empowernden Prozesses vermittelt. Hier macht sich nun Unbehagen breit. Unterstützt wird das von einem lauten Rauschen, das schon in den vorherigen Räumen zu hören war, doch erst hier zur Bedrohung wird. Ein durchlässiger weißer Vorhang trennt den Raum. Das hat zwei Funktionen: Er dient als Triggerwarnung. Und er symbolisiert die Verborgenheit der hinterm Vorhang thematisierten sexualisierten Gewalt. Auf deren Verharmlosung in den Medien macht Ulrike Rosenbachs Videoskulptur, zu der das Rauschen gehört, aufmerksam: Auf einem Bildschirm sind Gewaltszenen aus Comics italienischer Pornomagazine zu sehen. Auf den vier um ihn herum gruppierten Monitoren läuft die immer gleiche Sequenz der Künstlerin, die ihren Kopf hin und her wirft.
Die Ausstellung macht deutlich: Künstlerinnen existieren genug. Was fehlt, ist ihre Sichtbarkeit. Spannend wird es dabei genau dort, wo Kunstwerke, wie hier, Kunst als System und Betrieb kritisieren. Die Ausstellung lädt Besucher:innen ein, mitzudenken und sich zu vernetzen: Was wünscht ihr euch von Kulturinstitutionen? Welche Perspektiven fehlen? Sie erinnert daran, dass Museen keine neutralen Orte sind, sondern Institutionen mit Macht. Wer wird gezeigt? Wer wird vergessen? Der junge, kritische Blick verschont auch die Kunsthalle selbst nicht.
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