: An einem Ort zwischen Zweck und Botschaft
Der Kunstpalast Düsseldorf besitzt eine der größten Glassammlungen weltweit. Auch in ihrer Neupräsentation stellt sich wieder eine alte Klassenfrage
Von Oliver Tepel
Die Kunst? Ein Scherbenhaufen! Es muss eine massive Menge gebrochenen Glases sein, die mit Kraft von hinten an die schwarze Tür drückt und sich bedrohlich zwischen Zarge und Türblatt ins Freie zwängt. Keine Einladung zum neugestalteten Rundweg im Düsseldorfer Museum Kunstpalast ist diese „Schwarze Tür“ von Ulrike Möschel. Oder doch? Denn seit Kurzem geht es im Kunstpalast von diesem Scheitelpunkt ab zur Glaskunst. Nachdem die institutionelle Heimstatt der Düsseldorfer Malerschule zuletzt umfangreich renoviert wurde, sollten auch neue Perspektiven auf die Präsentation und Historisierung ihrer Sammlungen entstehen. Tatsächlich erscheint die Kunstgeschichte derzeit scherbengleich fragmentiert, wenn es darum geht, was bewertet und was überhaupt beachtet wird.
Die Wiedereröffnung einer der weltgrößten Glassammlungen bietet Chancen. Deren 13.000 Exponate visualisieren die vielen Entwicklungen der Kulturgeschichte in Objekten von der Antike bis in die Gegenwart. Eine davon fragt bis heute nach dem Status der Glaskunst. Welchen künstlerischen Wert hat die Schönheit von Objekten, die oft für den Gebrauch gemacht sind? Ist es nur Gewerbe statt freier Kunst?
Das Bedrohliche von Ulrike Möschels „Schwarzer Tür“ (2007/08) als Eröffnung der Glassammlung akzentuiert eher noch jene Trennung in „Hochkunst“ und dem vom dümmlichen Zweck Befleckten. Die scheinbar schmelzweichen, luftblasengleichen Formen von Gabriele Beveridges „High pink“ (2021) oder die sich in die Geschichte expressiv-flächiger abstrakter Malerei von Hans Hofmann bis Matt Connors einfügenden Farbglasschichtungen von Julio Rondo bezeichnen dabei nur einige der faszinierenden Möglichkeiten des Materials. Aber sie verblüffen dann doch weniger als jene winzigen, mit Blumenornamentik bemalten Mosaikglaseinlagen aus dem antiken Ägypten oder der perlmuttschimmernde Flakon in Form einer Dattel aus Syrien.
Die aufgereihten Vitrinen vor weißen Wänden, in denen die Objekte dicht an dicht präsentiert werden, vermitteln eine Kühle, aus der man die Malerei eigentlich schon befreite. Vom Salbölgefäß aus vorchristlicher Zeit zur winzigen spätmittelalterlichen karminroten Salzschale mit Beinen gleich zerlaufener Schokolade sind es nur ein paar Schritte. Die historische Gliederung der Sammlungspräsentation verdeutlicht einen einstigen lebhaften Kulturaustausch über die Kontinente hinweg. Doch wenn wir auf den Vogelkäfig des böhmischen Innovators der Glasmalerei, Friedrich Egermann, um 1835 treffen, ist Europa längst wieder im Fokus und damit auch das Ringen um den Kunstbegriff. Welchen Zweck hat es, dass ein Vogel in das Innere eines bemalten und mit Wasser befüllten Gefäßes klettern kann, außer Staunen zu erwecken und vielleicht ein Sinnieren über die Lebenswelten: Luft, Wasser, Käfig?

„Kunstgewerbe“ heißt es bereits 1890 zu Zeiten Émile Gallés, doch manche Jugendstilgefäße des Franzosen, wie etwa die Vase „Ariels Graburne“ mit ihren abstrakten Formen aus Glasscherben und eingeritztem Text, erscheinen heute wie zeitgenössische Galeriekunst. Bald zeugt Joel Philip Myers’„Dr. Zarkovs Spiegel“ vom effektfreudigen Mut im Art-déco-Revival der 1970er, das High-Art-Renegaten damals nur erschauderte „Kitsch!“-Rufe entlockte. Da ist Marta Klonowskas eisig diabolische Glassplitter-Ziege (2008), Adriana Popescus surrealer „Sanitätskarren“ (1989) zwischen Birne und Auto auf drei wackeligen Rädern nebst anmontierten Reagenzgläsern. Es folgt ein ganzer Raum mit den assoziativ abstrakten Objekten Jan Fišars, frei des Zwecks und doch als Hochkunst vielleicht zu schmückend.
Man merkt im Verlauf der Ausstellung, wie sehr einen der Zauber des Verbotenen all der Werke zwischen Zweck und Botschaft oder fern von beidem eingefangen hat. Sind sie Ding, Kunst, ganz was anderes?
Neupräsentation der Glassammlung im Kunstpalast Düsseldorf, bis auf Weiteres
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