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Ein Knabe singt von der großen Schöpfung

Emma Enderby, neue Direktorin des Berliner Kunsthauses KW, stellt in ihrer ersten Ausstellung mit vier Künst­le­r:in­nen der Gegenwart die ganz großen Fragen

Laser-Anime als Oper in drei Akten: Szene aus Matt Copsons „Age of Coming“ im KW Berlin Foto: Benjamin Baltus; Courtesy der Künstler und Lodovico Corsini, Brüssel

Von Sophie Jung

Der Mythos von der Künst­le­r:in­nen­stadt Berlin wurde womöglich in einer Margarinefabrik begründet. In den neunziger Jahren, in jener schon historischen Nachwendezeit, als fünf Leute – unter anderem der heutige Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach – in einem solchen baufälligen Ostberliner Fabrikbau eine Institution namens KunstWerke (KW) gründeten. Kein Museum mit Sammlung, sondern eine Kunsthalle sollte es sein, ausgestellt werden sollten eigens geschaffene Kunstwerke, produziert in den vielen leerstehenden, zu Ateliers umgewandelten Mietskasernen drumherum. Das KW bedeutete Kunst und Stadt.

Viele Namen wurden in der Margarinefabrik groß: Monica Bonvicini, Marina Abramović, Carsten Höller, Christoph Schlingensief. Im Vorstand des Trägervereins für die KW sitzt auch heute noch mit Katharina Grosse eine Berliner Künstlerin, sozusagen als Relikt der Gründungsjahre, wenn auch sie zur Minderheit gehört unter den vielen Un­ter­neh­me­r:in­nen und Ar­chi­tek­t:in­nen, die die Geschicke des mittlerweile internationalen Kunsthauses bestimmen.

Jetzt hat die neue Direktorin der KW, Emma Enderby, ihre erste Ausstellungsreihe eröffnet. Ein Moment, an dem man sich noch mal fragen kann, was da eigentlich noch dran ist an dem Mythos der Künst­le­r:in­nen­stadt Berlin. Er bröckelt offenbar, gibt Enderby im taz-Gespräch zu. Die drastischen Kürzungen im Kulturbereich, auch an den weniger sichtbaren Stellen, etwa bei senatsgeförderten Ateliers, haben an dem fragilen und so erfolgreichen Berliner Konstrukt von High & Low, von Leben, Arbeiten und Kunst gesägt. Nur wenige Tage vor der Eröffnung ihrer Auftaktausstellungen erfuhr Enderby, dass der Senat die Budgetkürzung für die KW um noch ein paar Prozentpunkte mehr anheben wolle.

Enderby, Anfang vierzig, hat als Kuratorin in den hoch kompetitiven Kunstmetropolen New York und London gearbeitet, zuletzt war sie in München. Jetzt, in Berlin, vermittelt sie etwas Post-Jetsetmäßiges, etwas von „Lass uns erst mal hier bleiben“. Vier jüngere Ge­gen­warts­künst­le­r:in­nen bringt sie jetzt zusammen, alle zwischen 1984 und 1992 geboren, alle leben in Berlin, oder haben zumindest einen Bezug zur Stadt.

Inhaltlich steigt Enderby ein mit den ganz großen, fundamentalen Fragen über Sein und Zeit. Dafür wählte sie ein so opulentes Genre wie die Oper. Genauer ist es eine laseranimierte Oper, die der britische Künstler Matt Copson in der Haupthalle der KW inszeniert hat. Nur ein Baby taucht auf Copsons sonst schwarzer Bühne auf. Der Kopf überzeichnet groß, süße Knopfaugen, räsoniert das Kleinkind singend im gläsernen Ton eines tatsächlichen Knabensoprans über die menschliche Existenz, Schaffen und Geschaffensein; „Ich schaffe Großes / Ich bin eine große Schöpfung“ singt das Kind auf Englisch, schwankt auf Copsons zitternden Lichtumrissen in einfachen Farben zwischen der Weisheit und dem Größenwahn kindlicher Unwissenheit hin und her, spielt mit einem Streichholz, brennt alles nieder, weint, pinkelt. Man wird hineingezogen in diesen drolligen Existenzialismus, das Laser-Anime ist Immersion in totaler Reduktion.

Reduziert ist auch die Klanginstallation der Computermusikerin Jessica Ekomane. Einen Sound wie der Knall bei der Entladung von Starkstrom lässt sie aus Lautsprechern tönen und verwebt ihn zu einem Klangmuster, das sich wiederholen, vervielfachen, verschieben kann, wie zum Ton gewordene Op-Art. Zeit wird hier erlebbar.

Sung Tieu geht auf die Geschichte von vietnamesischen Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen in der DDR ein

Auch politische Kunst taucht bei Enderby auf, aber eine unideo­logische, forschende. Der bosnisch-niederländische Künstler Miloš Trakilović etwa bespielt eine Etage mit Soundaufnahmen von Radiosongs aus Jugoslawien, veröffentlicht einige Jahre, bevor dort der Krieg ausbrach. Bahnte sich das Verheerende schon in der Musik an, ist seine Frage, und er schickte die Soundaufnahmen durch eine KI, die eigentlich für die Komposition von Liebesliedern programmiert ist. Doch das Experiment, Maschine und radikale Gefühle zu fusionieren, geht nicht ganz auf, das Klangresultat ist ein wenig überraschendes Wabern.

Die Künstlerin Sung Tieu ist da schon sehr viel präziser, wenn sie in ihrer auf zwei Etagen ausgebreiteten Installation auf die Geschichte und Gegenwart von vietnamesischen Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen in der DDR eingeht. Ihr Leben in einem Zwischenzustand in Deutschland, legal aber unerwünscht. Unter anderem greift sie auf die fast schon vergessenen Methoden der Institutional Critique zurück, wenn sie für ihre Ausstellung den Vorschlag unterbreitet, in die Institution der KW selbst einzuwirken. Sie wolle eine Person ihrer Wahl in den Trägerverein der KW eintreten lassen, die jährliche Mitgliedsgebühr von 5.000 Euro aufbringen, um die doch recht einheitliche Gruppe der Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen im Hintergrund der KW sozial etwas diverser zu machen. Wie man in einer ausgestellten Korrespondenz erkennen kann: Emma Enderby, die neue Direktorin, ist einverstanden, auch sozial an den mythischen KW etwas zu rütteln.

Matt Copson, Jessica Ekomane, Sung Tieu, Miloš Trakilović: KW Institute for Contemporary Art, Berlin, bis 4. Mai

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