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Schützen scheitern mit Mädchen-Moratorium

Keine Mädchen an der Waffe: Das hat einmal mehr die Schützengilde Wildeshausen entschieden. Der Versuch, das für Jahrzehnte festzuschreiben, ist gescheitert

Eindeutige Botschaften am Mann: Gilde-Mitglied beim Schützenfest in Wildeshausen Foto: Florian Manns

Von Lotta Drügemöller

Mädchen dürfen auch weiter nicht mitschießen beim Kinderschützenfest in Wildeshausen. Sie sollen dem Kinderkönig die Kette putzen und ihn beim Ausmarsch im weißen Spitzenkleid als „Ehrendame“ begleiten, mehr ist nicht drin. Eine große Mehrheit hatte sich bei der Generalversammlung der Schützengilde vor zwei Wochen gegen die gleichberechtigte Teilnahme von Mädchen ausgesprochen: 292 Mitglieder stimmten dagegen, 170 dafür. Noch schwerer wiegt der Versuch, das Mädchen-Moratorium gleich mal für Jahrzehnte festzuschreiben.

Diese Nachricht wirkt aus der Zeit gefallen, interessant ist aber, mit welchen Waffen die Schützengilde versucht, ihre Tradition beizubehalten. Die Frage ist auch: Warum berichtet die taz überhaupt darüber? Zuletzt gab es immer wieder Leser*innenkommentare, man solle diese Traditionalisten ignorieren. Schießen für Mädchen sei ohnehin kein emanzipatorisches Moment. Verwiesen wurde auch auf Frauenschwimmvereine oder Frauenchöre. Doch die Schützengilde Wildeshausen ist kein beliebiger Verein, er ist prägend für das Stadtleben.

Es ist schwer vorstellbar, dass die Rolle, die Frauen und Mädchen im stadtprägenden Schützenfest haben, nicht in die Gesellschaft hineinwirkt. Kritische Mitglieder berichten übereinstimmend, das Verhalten in der Gilde gegenüber Frauen und Mädchen färbe auf Freundeskreise ab – da werde zum Beispiel gefordert, sich auch privat nur unter Männern zu treffen.

Und der Verein ist einflussreich: 3.700 Mitglieder hat die Gilde in der 20.000-Einwohner-Stadt Wildeshausen. Angesichts der Tatsache, dass nur die männliche Stadtbevölkerung Mitglied werden kann, ein beeindruckender Anteil, auch wenn nicht alle Mitglieder noch im Ort leben. Bezugnehmend auf einen überlieferten Leitspruch heißt es sowohl in den Statuten der Gilde sowie auf der Homepage der Stadt: „Die Stadt ist die Gilde und die Gilde ist die Stadt.“

Eine „hitzige Stimmung“ herrschte laut Lokalmedien in der jüngsten Generalversammlung. Wörtlich zitiert werden durfte aus der Sitzung nicht, aber einzelne Mitglieder erinnern sich an „politische Stimmungsmache gegen grün und links“, zwei halbstündige Reden von ranghohen Offizieren gegen den Antrag, Mädchen beim Kinderschützenfest zuzulassen, während aus dem Plenum und damit auch aus dem Kreise der Unterstützer nur Zeit für kurze Wortmeldungen blieb. Vereinzelt berichtet wird auch über eine chaotische Abstimmung – „man hätte ohne Probleme mehrere Stimmzettel bekommen können“, kritisiert ein Anwesender.

Neben dem Antrag auf Zulassung von Mädchen gab es den nebulösen Antrag „Die Zukunft der Gilde“. Inhaltlich verbarg sich dahinter der Vorschlag, für die nächsten 20 Jahre nicht mehr über die Teilnahme von Mädchen oder Frauen am Gildefest und in der Gilde abzustimmen – und so den Status Quo zu zementieren.

Abgestimmt werden sollte direkt vor dem Antrag auf Mädchen beim Kinderschützenfest – um so diese Abstimmung gleich überflüssig zu machen. Den Mitgliedern wurde erst in der Sitzung selbst klar, was dort auf der Tagesordnung vorangestellt wurde. Vereinsrechtlich ist das unlauter. Schon mit der Einladung muss Mitgliedern hinreichend deutlich werden, über was in der Sitzung abgestimmt werden soll, damit sie entscheiden können, ob sie teilnehmen wollen.

Als es ihnen klar wurde, versuchten einzelne Mitglieder in der Generalversammlung einen Verfahrensantrag zu stellen; sie wollten erreichen, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen – oder zumindest erst nach der lang erwarteten Abstimmung über das Mädchenschießen zu behandeln.

Leider nicht möglich, aus formellen Gründen, entschied der Sitzungsleiter, der die Tagesordnung und die Anträge abgesegnet hatte. Sitzungsleiter ist nicht irgendwer, sondern der parteilose Bürgermeister der Stadt, Jens Kuraschinski – privat Mitglied seit 1992, vor allem aber als Bürgermeister automatisch der General und damit der höchste offizielle Vertreter der Gilde.

Inhaltlich versucht Kuraschinski schon seit dem vergangenen Jahr, sich bedeckt zu halten: Es handele sich um vereinsinterne Angelegenheiten, ließ er sich in der Vergangenheit zitieren, ein Votum der Mehrheit werde akzeptiert. Unabhängig von der Frage, ob ein gewählter Stadtvertreter sich als Vereinsvorstand aus inhaltlichen Fragen heraushalten sollte, wird deutlich: Mit der Versammlungsführung hat Kuraschinski keine Neutralität bewiesen.

Zu behaupten, man könne die Tagesordnung nicht ändern, ist falsch. „Man kann die Tagesordnung immer verändern. Mir fällt kein Szenario ein, wo das nicht möglich wäre“, so Vereinsrechtler Lars Leuschner von der Universität Osnabrück. „Die Abstimmung darüber nicht zuzulassen, ist rechtswidrig.“ Bürgermeister Kuraschinski, diplomierter Verwaltungsfachwirt, äußert sich am Montag nicht mehr pünktlich zu der Frage, aus welchen Gründen er als Versammlungsleiter nicht über eine veränderte Tagesordnung abstimmen lassen wollte.

Eine Mehrheit gab es für den umstrittenen Antrag am Ende nicht: Mit 180 zu 220 Stimmen wurde er abgelehnt. Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Thore Güldner (SPD) hatte sich in der Sitzung spontan als einfaches Vereinsmitglied gegen den Antrag gestellt, nachdem sich sonst niemand geäußert hatte. „Es war einfach klar: Ein Thema nicht mehr zu diskutieren, das ist nicht das richtige Demokratieverständnis“, erklärt Güldner der taz. „Ich hätte mir von den Offizieren eine klare Empfehlung gewünscht, so einem Antrag nicht stattzugeben.“

„Gibt es dann auch Ehrenherren, die nicht mitschießen und hinter den Ehrendamen herlaufen?“

Gegner des Kinderschützenfestes für alle formuliert in einem Brief an die Offiziere seine Sorge vor Traditionsverlust

„Für mich ist das eher eine Nebelkerze, bindende Wirkung hat es nicht“, sagt Leuschner. „Schließlich wäre durch den Antrag nicht die Satzung geändert worden. Das heißt, man hätte im nächsten Jahr einfach einen neuen Antrag stellen können.“

Einige Ängste, die mit der Aufnahme von Frauen in die Gilde verbunden sind, formulierte ein Bürger der Stadt und Gildemitglied in einem Brief an die Offiziere, also die Würdenträger der Gilde. Das Schreiben kursierte vor der Mitgliederversammlung bei Facebook. „Traditionsverlust“ prognostiziert der Verfasser, der namentlich der Redaktion bekannt ist.

Die Rolle, die Mädchen heute beim Schützenfest haben, sei für Jungs nicht zumutbar. „Gibt es dann auch Ehrenherren, die nicht mitschießen und hinter den Ehrendamen herlaufen?“, fragt er. Folgerichtig ahnt er, dass „Mädchen, die ein paar Jahre mitschießen, dann auch weitermachen wollen“, es ergebe sich die „zwangsläufige Frage der Frauen, warum sie nicht mitmarschieren dürfen.“ Der Verfasser rät deshalb: „Wehret den Anfängen!“

Eigentlich hatten Beobachter vermutet, dass die Zeit reiner Männer- und auch Frauenvereine schon aus finanziellen Gründen enden würde: Der Bundesfinanzhof hatte 2017 entschieden, einer Freimaurerloge die Gemeinnützigkeit zu entziehen, weil sie ohne sachliche Begründung Frauen ausschloss. Ein angekündigtes Gesetz des damaligen Bundesfinanzsenators Olaf Scholz (SPD) wurde zwar nicht verabschiedet. Aber auch auf Grundlage des Gerichtsurteils hätten Finanzämter allerorten tätig werden und ihre lokalen Vereine auf Gemeinnützigkeit prüfen können. Passiert ist wenig. „Manchmal gibt es da in den Gemeinden auch politischen Opportunismus“, vermutet Leuschner. „Im Konflikt mit einem starken Verein vor Ort verbrennt man sich leicht die Finger.“

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