: „Wir entscheiden im Konsens“
Die Projekte des Mietshäuser Syndikats schaffen langfristig bezahlbaren Wohnraum. Conni vom Wohnprojekt Baumhaus Weimar erklärt, wie das geht und wo Hürden sind
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Interview Tom Kailing
taz: Conni, was ist der zentrale Gedanke des Syndikatsmodells?
Conni: Früher hatten wir eine Broschüre, auf der stand: „Die Häuser denen, die drin wohnen.“ Der Grundgedanke ist: bezahlbare Mieten über einen langen Zeitraum sichern, selbstbestimmt leben und wirtschaften. Wir überführen Grundbesitz in kollektives Eigentum, um den Grund und Boden der Immobilienspekulation zu entziehen. Die Projekte sind selbstverwaltet: Wir – das Baumhaus – haben eine Hausbesitz-GmbH mit zwei Gesellschaftern. Der eine ist das Mietshäuser Syndikat (MHS) und der andere ist unser Hausverein. Das ist in allen Projekten so. Dabei ist das Mietshäuser Syndikat an der Haus-GmbH beteiligt, damit das Haus nicht spekulativ verkauft werden kann. Der Hausverein ist für die Organisation und Verwaltung zuständig.
taz: Eine große Belastung für die meisten Menschen ist die Miete. Die durchschnittliche Bruttokaltmiete lag 2022 in deutschen Groß- und Mittelstädten bei 9,60 und 8,20 Euro pro Quadratmeter. Wie sehen die Mieten im Baumhaus aus?
Conni: Wir haben eine Nettokaltmiete von 5,95 Euro pro Quadratmeter – und die haben wir nicht erhöht, seit wir vor 8,5 Jahren eingezogen sind. Der Umbau zu Wohnungen hat damals 1.100 Euro pro Quadratmeter gekostet. Wir haben im Bestand so gebaut, dass wir nicht mehr als 6 Euro Miete zahlen müssen und mussten deshalb einige Abstriche machen: zum Beispiel keine Lichtkuppeln im Dach (lacht). Unsere Miete legen wir selber fest, aber wir müssen unsere Kredite tilgen und bei Bedarf umfinanzieren.
taz: Kredittilgung ist also ein Teil der Miete, was fällt noch an Kosten an?
Conni: Wir zahlen unsere verbrauchsabhängigen Nebenkosten, die wir gleichmäßig aufgeteilt haben. Seit letztem Jahr haben wir auch eine Photovoltaikanlage, also nutzen wir unseren eigenen Strom. Insgesamt zahlen wir weniger Nebenkosten als viele andere Haushalte: also maximal 1,20 Euro pro Quadratmeter. Außerdem gibt es eine Solidarabgabe, die an das MHS weitergeleitet und für neue Projekte genutzt wird.
taz: Das Syndikat gibt es nun schon seit mittlerweile über 30 Jahren und ist mit über 190 Projekten ziemlich erfolgreich. Die Wohnungsfrage ist aber, ganz naiv gesagt, noch nicht gelöst. Ist das Syndikatsmodell auf die breite Masse der Wohnungsversorgung anwendbar?
Conni: Als Wohnform für die breite Masse ist es wahrscheinlich nichts. Ein neues Projekt muss sich zuerst vorstellen und in der Mitgliederversammlung wird dann von allen abgestimmt. Jedes Projekt braucht auch einen Paten, mit dem im Vorfeld schon viel bezüglich der Finanzierung organisiert wird. Es geht eben auch um Sicherheit für alle Beteiligten; die Projekte finanzieren sich nicht nur über Bankkredite, sondern auch über private Direktkredite. Es gibt zwar neue Projekte, aber die Anzahl an Beraterinnen und Beratern ist fast gleichgeblieben. Im Moment scheitert es auch an bezahlbaren Häusern, Grundstücken und am Ausbau. Es ist alles teurer geworden und Projekte können von der Mitgliederversammlung abgelehnt werden, weil sie zum Beispiel keine bezahlbare Miete mehr gewährleisten können. Außerdem ist das Prozedere ganz schön aufwendig und dauert ein bisschen: Es muss sich eine Gruppe finden, die gründet den Verein und dann die GmbH. Bei uns hat das 1,5 Jahre gedauert, was vergleichsweise schnell war.
taz: Der Traum vom Eigenheim ist für viele Menschen noch heute ein Lebensziel. Man möchte vor allem Sicherheit und etwas Eigenes, das man nach den eigenen Vorstellungen gestalten kann. Fühlst du dich im Baumhaus abgesichert?
Conni: Ja, ich fühle mich da sicher. Ich bin Teil des Projektes und kann mitentscheiden. Weimar ist ziemlich begehrt, wir sind aber noch die gleichen Bewohner wie seit dem Einzug vor 8,5 Jahren! Nur ein paar Kinder sind hinzugekommen und ein paar Jugendliche ausgezogen.
taz: Hast du das Gefühl, dass ihr euch nach euren individuellen Vorstellungen ausleben könnt?
Conni: Wir haben eine ehemalige Wagenhalle nach unseren jeweiligen Vorstellungen ausgebaut. Begrenzt nach Kosten und Möglichkeiten. Klar, unterschiedliche Treppen und Fußböden, aber immer mit dem Grundprinzip „Bezahlbarkeit“. Wer etwas extra haben wollte, musste das selbst bezahlen. In so einem Projekt will man ja auch gemeinschaftlich denken und planen. Es gibt auch Einzelprojekte, bei den Terrassen kann sich jeder frei ausleben.
taz: Es wirkt so, als seid ihr alle ziemlich im Projekt angekommen, habt Wurzeln geschlagen. Kann ein Projekt wie das Baumhaus für Studierende funktionieren, die vielleicht nach drei oder vier Jahren schon wieder ausziehen.
Conni: Es gibt gemischte Projekte, wo auch mal Studenten mit drinwohnen. In Weimar gibt es da die Alte Feuerwache. Soweit ich weiß, gibt es auch in Potsdam und Leipzig Projekte, in denen Studenten wohnen.
taz: Mit so vielen Leuten ein Projekt zu starten, ist sicherlich keine alltägliche Entscheidung. Was ist die Philosophie des Baumhauses bezüglich des Zusammenlebens, wie trefft ihr Entscheidungen?
Conni ist seit der Gründung vor 10 Jahren Mitglied im solidarischen Wohnprojekt Baumhaus Weimar und dort zuständig für die Direktkreditverwaltung. Sie ist gelernte Maurerin und hat in Weimar Architektur und Städtebau und später aufbauend Lehramt Bautechnik/Sozialkunde studiert.
Conni: Aus meiner Erfahrung ist es einfacher, im Sinne der Gemeinschaft zu entscheiden, wenn ich kein Privateigentum habe. Wir entscheiden dann im Konsens. Wenn wir keinen Konsens finden, aber eine Entscheidung treffen müssen, dann gibt es die Methode des systemischen Konsensierens. Das Grundprinzip ist: Der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand wird angenommen. So haben wir schon einiges entschieden, zum Beispiel die Fassadengestaltung. Hat bis jetzt immer geklappt.
taz: Für welchen Typ Mensch ist das Syndikatsmodell etwas?
Conni: Wir im Baumhaus sind alle beteiligt, wir müssen alle im Projekt mitarbeiten – und das nebenberuflich. Wir haben zwei Geschäftsführer und Arbeitsbereiche wie Direktkreditverwaltung, Buchhaltung, Beratung für andere Projekte … Es gibt viele verschiedene Mitwirkungs- und Verantwortungsbereiche. Und wir stimmen über alles ab, was das Gemeinschaftseigentum betrifft. Dieser Prozess des Konsensierens ist für manche Menschen lähmend. Sogar meine erwachsenen Töchter sagen, hier würden sie nicht einziehen (lacht). Es ist also etwas für Menschen, die etwas gemeinsam mit anderen Menschen schaffen wollen, die auch konfliktfähig sind.
taz: Wo siehst du die Zukunft des Baumhauses?
Conni, Mietshäuser Syndikat
Conni: Wir haben mittlerweile einige Grundstücke zum Haus dazugekauft, das Projekt wird also weiterentwickelt – Weimar ist ein günstiger Standort.
taz: Und die des Syndikats?
Conni: Die Zukunft des Mietshäuser Syndikats wird im Klausurjahr beraten – erst nächstes Jahr kann ich mehr sagen! Es gibt jetzt einen Break und dann wird geschaut: Wie läuft es ab hier weiter?
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