: Wildes Fest der Befreiung
Mit vier Treffern beim 6:0 des BVB gegen Union Berlin lässt Serhou Guirassy Hoffnungen auf einen nachhaltigen Aufschwung der Dortmunder aufkeimen. Doch es könnte nur ein weiteres Kapitel im Pendeln zwischen Extremen sein
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Aus Dortmund Daniel Theweleit
Die persönlichen Bilanzen des Torjägers Serhou Guirassy waren bisher ein ganz guter Maßstab für die Leistungen von Borussia Dortmund. In der Champions League, wo auch Kylian Mbappé, Erling Haaland, Robert Lewandowski oder Harry Kane unterwegs sind, führt der 28 Jahre alte Angreifer des BVB die Torjägerliste an, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sein Klub hier eine starke Saison spielt. Im entsprechenden Ranking der Bundesliga hingegen fehlte der Name bisher auf den vorderen Plätzen so wie die Dortmunder in der Tabelle. Nun hat Guirassy sich mit vier Treffern beim 6:0 gegen Union Berlin auch hier in der Torschützenliste weit nach vorne katapultiert. „Das war ein perfekter Abend“, sagte er, nachdem ihm erstmals in seiner Profikarriere vier Tore in einer einzigen Partie gelungen waren. Und in seinem Klub keimt die Hoffnung auf einen nachhaltigen Durchbruch auf. „Die komplette Mannschaft hat heute geliefert – die Spieler, die angefangen haben, und die Spieler, die reingekommen sind, waren gierig“, sagte Kapitän Emre Can. „So muss es sein.“ Als in der Schlussphase eine immer größere Euphorie entstand, feierte der BVB ein wildes Fest der Befreiung. Die Fans im Westfalenstadion, die seit einem 4:0 gegen Freiburg aus dem vergangenen November auf einen Bundesligaheimsieg warten mussten, brüllten sich den ganzen aufgestauten Frust von der Seele. „Alle sind erleichtert, die Zuschauer hat man lange nicht mehr so euphorisch gesehen“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl, der sonst eher schmallippige Klubchef Hans-Joachim Watzke lachte wie im Rausch. Das Ergebnis täuschte allerdings ein wenig über den Spielverlauf und die Leistungen der Teams hinweg.
Dortmunds Trainer Niko Kovač war zwar der Ansicht, dass seine Mannschaft nur in der ersten Viertelstunde nicht so überzeugend agierte wie gewünscht, Fehler im Aufbauspiel und eine gewisse Verunsicherung waren aber bis tief in die zweite Spielhälfte sichtbar. Erst Guirassys 3:0 in der 75. Minute löste alle Blockaden. Wobei der frühere Stuttgarter zu den wenigen Dortmundern gehört, die nie richtig blockiert gewesen sind.
Der als Sohn einer Einwandererfamilie aus Guinea in der südfranzösischen Stadt Arles geborene Stürmer hat auch in den Krisenpartien geackert, angetrieben und Mitspieler mitgezogen. Es ist ein echter Glücksfall für die Dortmunder, dass es dem aufgrund verschiedener Konflikte inzwischen entlassenen Transfermarktspezialisten Sven Mislintat über alte Kontakte gelungen ist, Guirassy vom VfB Stuttgart zum BVB zu holen. Und dass keine Klubs aus der Premier League ernsthaft mitgeworben haben. Nach den vier Treffern gegen Union brauchte Kovač nur ein Wort, um Guirassys Anteil an diesem schönen Erlebnis zu beschreiben: „Weltklasse“.
Hinter der Euphorie schimmerte aber schnell die Sorge hervor, es könne sich um ein isoliertes Einzelereignis handeln. Das Hin und Her zwischen den Extremen gehört ja seit vielen Jahren zur DNA dieses Klubs. „Wir haben in dieser Saison kein einziges Mal zwei Spiele hintereinander in der Bundesliga gewonnen“, sagte Pascal Groß, und der ebenfalls starke Marcel Sabitzer ergänzte, es gehe darum, „mal drei, vier Spiele am Stück“ zu gewinnen und nicht sofort wieder zusammenzufallen, wenn „dann auswärts wieder so ein ekliges Spiel kommt, wo wir uns den Schneid abkaufen lassen“.
Tatsächlich steht exakt so ein Spiel bevor: Am kommenden Wochenende spielen die Dortmunder am Millerntor, wo der FC St. Pauli seine Gegner mit hoher Intensität und mit einer gewissen Härte zu bekämpfen vermag. Ein leichtfüßiger Auswärtssieg ist dort im laufenden Spieljahr noch keinem Team gelungen. Aber die Dortmunder reisen nicht nur mit Guirassy und einem gestärkten Selbstvertrauen nach Hamburg, sondern auch mit einem kongenialen Partner des Torjägers. Neben dem vierfachen Torschützen gab es nämlich auch einen vierfachen Vorlagengeber: Pascal Groß, der von einem „Flow“ sprach, in den er und seine Kollegen hineingeraten waren.
Vier Assists eines Bundesligafußballers in einem einzigen Spiel hat es nach Angaben des Statistikdienstleisters Opta seit Beginn der Datenerhebung erst zwei Mal gegeben. Groß gehörte in den vergangenen Jahren in Brighton zu den stärksten Assistgebern, in Dortmund war diese Qualität in letzter Zeit verschüttet. Niko Kovač sagte: „Das ist der Pascal, den wir uns wünschen.“
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