: Ich schreibe über Damaskus wie jemand, der im Dunkeln ein Bild malt
Die Sehnsucht nach meiner Heimat Syrien drückte ich Ende 2022 in einem Gedicht aus. Damals fürchtete ich, ich würde sie nie wieder sehen. Jetzt, nach dem Sturz des Assad-Regimes, ist alles offen. Und ich träume und schreibe weiter im deutschen Exil, von Freiheit und Gerechtigkeit
Von Asma Kready
Als ich diese Worte schrieb, stand ich vor meinem eigenen Exil, als würde ich in einen zerbrochenen Spiegel starren, der meinen Schmerz widerspiegelt. Damaskus war nicht nur eine Stadt; es war eine innere Stimme, eine Erinnerung, die trotz des Staubes vergangener Tage hell leuchtete. Jede Ecke seiner Straßen, jeder aufrecht stehende Baum zeugte von meiner Geschichte des Verlustes. Damals wurde Entfernung nicht in Kilometern gemessen, sondern im Gewicht jedes einzelnen vergehenden Augenblicks. Das Schreiben wurde zu meiner einzigen Atempause. Ich schrieb über Damaskus, während ich versuchte, das zurückzugewinnen, was die Zeit gestohlen hatte – das Gesicht meiner Mutter, das Lächeln meiner Freunde, sogar die alltäglichen Gespräche, die einst wie eine sanfte Brise vergingen.
Und zu dieser Zeit ähnelte Damaskus mir: Verwundet und verloren … und doch träumte es, wie ich, vom Überleben. Mit jedem Wort suchte ich nach mir selbst inmitten der Trümmer aus Angst und Schmerz. Ich ließ das Damaskus, das ich einst kannte, wiederauferstehen und formte es nach meinen Wünschen um – zu einer Stadt der Sicherheit, Liebe und des Lebens.
Sturz
Die Jahre vergingen wie die Schritte eines Elefanten, der unsere Knochen zermalmt – bis zum Tag der Flucht.
„Es ist jetzt 6.18 Uhr … Syrien ist ohne den Diktator.“
Dieser Satz fühlte sich an wie ein unerreichbarer Traum.
Ein entscheidender Moment, der das Unvorstellbare plötzlich zum Greifen nah werden ließ. Aber die Wahrheit war, dass der Sturz des Regimes nur der Anfang einer neuen Geschichte war. Als hätten wir uns aus einer massiven Tür gestürzt, die uns gefangen hielt – nur um uns dann vor einem Haus in Trümmern wiederzufinden, das dringend wiederaufgebaut werden muss.
Das war das Erbe, das uns der Tyrann hinterlassen hat. Alte Wunden blieben bestehen und neue kamen hinzu, als die Barrieren zusammenbrachen. Syrer, die einst von einer Heimat geträumt hatten, sahen sich nun mit einer schweren Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft konfrontiert. Freiheit bedeutete nicht das Ende des Leidens, sondern war der Beginn eines komplexen Kapitels, das uns an die Herausforderungen erinnerte, die vor uns lagen – nationale Versöhnung, Übergangsjustiz und der Wiederaufbau des Vertrauens unter den Menschen einer zerrütteten Nation.
Widerstand
Das Schreiben war nicht nur eine Möglichkeit, mich mit meinem persönlichen Exil auseinanderzusetzen, sondern auch ein Mittel, um die Geschichten derer zu teilen, die ich liebte und mit denen ich den Schmerz teilte.
Eine enge Freundin von mir verlor Ende 2012 ihren Vater. Sie und ihre Familie baten um jedes Wort, jeden Hinweis auf sein Schicksal. Sie suchten in Gefangenenlisten und unter den namenlosen Toten nach ihm. Aber Schweigen war die einzige konstante Antwort – ein unerträgliches Schweigen, das auf ihrer Brust lastete und jeden Tag in ein Leben in der Schwebe verwandelte. Und meine Brüder, die das Land verlassen haben, auf der Flucht vor der Brutalität der Unterdrückung und der Angst, dass ihre Hände zu Werkzeugen werden, mit denen unschuldiges Blut vergossen wird. Sie trugen ihre kleinen Koffer und zerbrechlichen Träume und zogen das Unbekannte dem Leben als Teil der von Assad aufgezwungenen Tötungsmaschine vor.
Jede Nachricht, die ich von ihnen erhalte, trägt den Schmerz des Exils in sich, die Angst, ihre Heimat nie wiederzusehen. Aber am meisten schmerzt mich die Szene, in der eine Mutter sich nach dem Sturz des Regimes eine Schlinge um den Hals legt. Dieselbe Schlinge, die drei ihrer Söhne das Leben gekostet hatte. Sie haben ihr keine Spuren hinterlassen, aber diese Schlinge. Nachdem sie jahrelang nach ihnen gesucht und jede Zelle, jedes Gefangenenlager inspiziert hatten – nur um die Wahrheit in einer Schlinge zu finden, die für sich selbst spricht.
Diese Geschichten waren Teil meiner Welt, als ich schrieb, und der Schmerz in ihnen war die Quelle meines persönlichen Kampfes mit der Hoffnung. Jede einzelne fügte meinem Verständnis dessen, was in Syrien geschah, eine neue Ebene hinzu.
Jetzt, da sich die Stürme etwas gelegt haben, ist mir klar geworden, dass Schreiben nicht nur ein Akt der Aufzeichnung von Ereignissen oder ein Versuch der Flucht ist.
Es ist ein Akt des Widerstands.
Worte sind meine einzige Waffe gegen das überwältigende Gefühl der Hilflosigkeit. Ich schreibe über Damaskus wie jemand, der im Dunkeln ein Bild malt und versucht, die dunklen Ecken mit Liebe und Hoffnung zu erhellen. In dem Damaskus, über das ich heute schreibe, stehen die Bäume noch, die Fenster warten noch darauf, geöffnet zu werden, und Mütter suchen noch immer nach ihren Söhnen – denen, die Assad in seinen Gefängnissen begraben hat.
Hoffnungen
Ich träume von einem Syrien, in dem Freiheit nicht nur ein Wort in Reden ist, sondern ein Grundrecht. Ein Syrien, das Geschichten der Liebe und nicht der Angst verdient hat. Ich träume von Straßen, die nicht mit Panzern, sondern mit Liedern und herzlichen Gesprächen gefüllt sind. Ein Zuhause, in dem Asphalt ein Weg zum Leben ist und kein Versteck für weitere Gefängnisse.
Der Weg, der vor uns liegt, ist lang, aber ich glaube, dass die Syrer in der Lage sind, ihre neue Geschichte zu schreiben – eine Geschichte, die mit dem Wiederaufbau des Menschen beginnt. Ein Mensch, der von Tyrannei niedergeschlagen wurde, braucht Zeit und mehr Mut als im Krieg, um sein Vertrauen in sich selbst und sein Land wiederherzustellen – ohne zur Geburt eines neuen Tyrannen beizutragen. Die Forderungen nach einer Zivilgesellschaft, sozialer Gerechtigkeit und Übergangsjustiz sind nicht nur eine Reihe von Slogans, die wir skandieren.
Dies sind grundlegende Bedingungen für eine Heimat, die wirklich allen gehört. In das Gefüge dieser Nation ist ein tiefer Schmerz eingebettet. Er kann nicht ohne echte Gerechtigkeit überwunden werden – eine Gerechtigkeit, die denjenigen ihre Rechte zurückgibt, die sie verloren haben, und die kalten Akten öffnet.
Die vor uns liegende Aufgabe wird nicht einfach sein. Aber wir haben es verdient zu träumen, zu arbeiten und vor allem zu leben.
Übersetzung aus dem Arabischen: Shams Zarzour und Lisa Schneider
Wie geht es dir, Damaskus? Nur wenige Stunden bin ich von dir entfernt, aber so weit, dass die Hand meiner Mutter mir nicht mehr wie leichter Regen über den Rücken streichen kann. Die Distanz zwischen uns beträgt einen kurzen Anruf bei Freundinnen, die ich früher gleich danach aufgesucht hätte. Zwischen uns liegen Tränen aus Augen, die um deine alten Gassen trauern.
Ich wusste gar nicht, wie sehr ich dich liebe! Ohne die beschützenden Blicke meiner Mutter zu leben habe ich nicht gelernt und ich weiß nicht mehr, wie der Tag meiner besten Freundin war.
Wie geht es dir, Damaskus? Du harte, gute Stadt? Ich möchte dir sagen, dass Geschwister von mir noch unter deinen Wunden atmen und dass ich ihnen eine andere Zukunft gewünscht hätte. Sei gnädig mit allem, was ich hinterlassen habe. Jetzt schon sage ich Guten Morgen zu deinen Bäumen, die alles stumm beobachten, zu deinen Straßenhändlern, zu meinen Nachbarinnen von damals, die mich vom Fenster aus gegrüßt haben, und zu jeder Erinnerung, die ich noch an dich habe.
Guten Morgen, wann immer jemand dich hasst und dich gegen eine kalte Stadt eintauschen will. Guten Morgen jedem, der es bisher nicht geschafft hat, deinem Griff zu entfliehen.
Guten Morgen, Damaskus, du geliebter Steinhaufen in meinem Herzen.
Dieses Gedicht postete Asma Kready Ende 2022 auf Facebook. In der deutschen Übersetzung von Günther Orth erschien es am 31. 10. 2024 auf weiterschreiben.jetzt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen