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„Wir werden nicht gemütlich sein“

Der Publizist Robert Misik warnt in seiner Rede davor, wie Demokratien schrittweise erodieren und dann abrupt kippen können. Er zeichnet ein alarmierendes Bild der politischen Lage und mahnt zur Wachsamkeit

Sie stehen heute hier, weil Sie Verhältnisse, wie sie in meinem Land herrschen, verhindern wollen. Ich wiederum stehe heute hier, weil ich Ihnen von den Geschehnissen in meinem Land berichten will. Aber ich verstehe diese Einladung, hier zu sprechen, auch als einen Akt der Solidarität. Dass ihr nicht wegseht, bei dem, was bei uns passiert. Wenn Sie mich fragen, wie Demokratien sterben, dann kann man darauf vielleicht eine Antwort geben: Allmählich, und dann plötzlich.

In meinem Land ist es sehr wahrscheinlich, dass wir demnächst einen Rechtsextremen Bundeskanzler haben werden – Herbert Kickl, Chef der FPÖ, der seine Partei in den vergangenen Jahren noch einmal radikalisiert hat. Es ist etwa so, als würde Björn Höcke bei Ihnen Bundeskanzler werden.

Dem vorausgegangen sind bei uns dreißig Jahre der Vergiftung des Klimas und der Vergiftung der Sprechweisen, der Sprache. Ein Wir-gegen-sie.

Dem vorausgegangen ist jedoch auch, dass der Konservatismus kippt, dass die Kooperation mit den Extremisten als normal hingestellt wird. Erst ist es ein Tabubruch, dann wird es langsam zur gewohnten Übung. Es ist, das ist die Lehre aus meinem Land, so unschätzbar wichtig, dass Sie genau jetzt, genau bei den ersten Versuchen, den ersten Tabubrüchen, schon aufstehen und sagen: Halt, stopp, hier geht’s steil bergab, da lauert der Abgrund!

Was einen rechtsextremen Bundeskanzler in Österreich zuletzt zu einer solchen gefährlichen Realität, oder besser, realistischen Gefahr gemacht hat, war eine Abfolge von Fehlhandlungen, unverzeihlichen Fehlern. Die Rechtsextremen haben 28,8 Prozent erhalten. Parteien, die allesamt eine Koalition mit Herbert Kickl ausgeschlossen haben, haben 71 Prozent der Stimmen erhalten. Doch dann sind diese Parteien daran gescheitert, eine Regierung zuwege zu bringen. Sie haben ihre Wäh­le­r:in­nen verraten. Es ist ein irrwitziger, ein unverzeihlicher Fehler.

Wir müssen uns in meinem Land auf ungemütliche Zeiten einstellen, auch wenn man über uns ja sagt, wir hängen an der Gemütlichkeit. Nein, man soll sich keinen Illusionen hingeben: Die Demokraten, die bunte Zivilgesellschaft, die vielfältigen Milieus heutiger moderner Gesellschaften, wir werden zähen, entschlossenen, auch mutigen Widerstand leisten müssen. An jeder Stelle. Tag für Tag. Jeder und jede an ihrem Platz. Um an jeder Stelle, an der der autoritäre Umbau vollzogen werden wird, mit Opposition und Gegenwehr aufzutreten. Wir werden nicht gemütlich sein.

Wenn es denn so kommt: Denn noch können die Konservativen in Österreich umkehren und eine Regierung der Mitte bilden. Deswegen sage ich den Protagonisten auch von hier das, was ich seit einem Monat immer wieder sage: Kommt runter von diesem Horrortrip! Robert Misik

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