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Archiv-Artikel

Wenn kein Land mehr grün ist

Falls die Umfragen sich am Sonntag bewahrheiten, verlieren die Grünen in Nordrhein-Westfalen ihre letzte Regierungsbeteiligung auf Landesebene

1995 beendete in Bremen der „Piepmatzstreit“ die Koalition

AUS BERLIN RALPH BOLLMANN

Für die SPD ist alles vielleicht nicht ganz so schlimm. Verliert Rot-Grün am Sonntag die Wahl in Nordrhein-Westfalen, wäre der größere Koalitionspartner immerhin noch in 7 von 16 Landesregierungen vertreten. Für die Grünen aber wäre die Zeit der Regierungsbeteiligung auf Landesebene vorerst beendet. Die Düsseldorfer Umweltministerin Bärbel Höhn und Bauminister Michael Vesper würden mit ihrem Ausscheiden aus dem Kabinett eine Epoche beenden, die vor 20 Jahren in Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden begann.

Am 12. Dezember 1985 legte Joschka Fischer in Sportsakko und Turnschuhen seinen Amtseid als Umweltminister ab. Der damalige SPD-Ministerpräsident Holger Börner ging die Koalition ein, obwohl er vorher einmal gesagt hatte, nur sein Amt verbiete ihm, „den Kerlen eins in die Fresse zu hauen“. Entsprechend kurzlebig war das Bündnis. Nur 452 Tage amtierte die erste rot-grüne Regierung, bis sie am Streit über die Hanauer Atomfabrik zerbrach.

Zwar arbeiteten SPD und Grüne später professioneller zusammen, auch sollten es bald die bürgerlichen Grünen sein, die über ihren wenig eleganten Koalitionspartner die Nase rümpften. Aber ein Grundmuster blieb: Die grüne Regierungsbeteiligung auf Landesebene erwies sich als weit weniger erfolgreich, als die Partei gern glauben macht. Von insgesamt neun Bündnissen hielten nur drei länger als eine Wahlperiode – die im März gescheiterte Regierung in Schleswig-Holstein, die zweite Auflage in Hessen und der Pakt in Düsseldorf.

In der Frühzeit scheiterten gleich drei Regierungen daran, dass sich die Grünen bei ihren Leib-und-Magen-Themen als kompromissunfähig erwiesen. Nach Hessen scheiterte auch das bundesweit zweite rot-grüne Bündnis in Berlin an einem Grundsatzstreit, diesmal um die Räumung von besetzten Häusern. Legendär wurde der „Piepmatz-Streit“, an dem in Bremen 1995 die Ampelkoalition zerbrach. Der grüne Umweltsenator Ralf Fücks wies damals Flächen als Vogelschutzgebiet aus, auf denen die Koalitionspartner lieber Gewerbe angesiedelt hätten.

Mit solchen Mätzchen war fortan Schluss, nun schob sich ein anderes Problem in den Vordergrund: Weit mehr als von den eigenen Wahlergebnissen hingen die Jobs der grünen Ministerriege von Wohl und Wehe des Koalitionspartners ab. Das galt für die Zeit der SPD-Erfolge in den Neunzigern, als etwa der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder 1994 die absolute Mehrheit gewann und die grünen Kabinettsmitglieder damit überflüssig machte.

Es galt aber mehr noch in den jüngsten Zeiten des sozialdemokratischen Niedergangs, als die SPD erst Hamburg verlor und dann Schleswig-Holstein. Oft genug legten die Grünen bei Landtagswahlen sogar zu, sie konnten die roten Verluste aber nicht ausgleichen. Wo immer die Grünen mehr als 12 Prozent errangen, blieben sie in der Opposition – etwa in Baden-Württemberg 1996, in Bremen 2003 oder in Hamburg 2004.

Oft waren es gerade schlechte Wahlergebnisse, die die Grünen an die Regierung brachten – zweimal sogar in Ostdeutschland. Von 1990 an stützten die Grünen in der brandenburgischen Ampelkoalition den SPD-Landesvater Manfred Stolpe, in Sachsen-Anhalt ließ sich die Partei von 1994 bis 1999 gemeinsam mit SPD-Mann Reinhard Höppner von der PDS tolerieren.

Ein rot-grünes „Projekt“, wie es Gerhard Schröder und Joschka Fischer im Bund zelebrieren, gab es auf Landesebene fast nie. Gerade in Nordrhein-Westfalen hat sich die SPD bis zuletzt nicht damit anfreunden können, dass sie das einstige Land der Schwerindustrie gemeinsam mit der früheren Ökopartei regieren muss.

Diese Sorge könnte die SPD von Sonntag an los sein. Umfragen sehen Rot-Grün 6 Prozent hinten. Und wenn die Demoskopen Recht behalten, fänden sich die Grünen einmal mehr mit einem respektablen Ergebnis von 7,5 Prozent in der Opposition wieder. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren erreichten sie nur 7,1 Prozent.