Grenzenlose Ausdrucksfreude

KONVENTIONSLOSIGKEIT Ihre Shows waren schon immer mehr als bloße Konzerte: Morgen präsentieren die Schwestern Bianca und Sierra Casady alias CocoRosie ihre neue Konzertshow nebst Tanztheater-Debüt

Verstehen brauchst du mich nicht, mach für dich selbst etwas daraus

VON ROBERT MATTHIES

Über zehn Jahre lang hatten sich Bianca Leilani „Coco“ Casady und ihre Schwester Sierra Rosie „Rose“ schon nicht mehr gesehen, da steht die eine, festen Willens, sich zu verändern, auf einmal vor der Pariser Wohnung der anderen. Und es beginnt die klassische Lo-Fi-Geschichte der New-Weird-Anti-Folk-Ära: Im Badezimmer nehmen die beiden Geschwister zusammen Songs auf, die eine spielt Flöte und Gitarre, die andere steuert Schlagzeug und Beatbox bei. Die eine singt mal verzerrt, mal kindlich, die andere – ausgebildete Sängerin – opernhaft. Dazu kommen Klänge aus Föhnen, Popcornmaschinen und allerlei anderen Geräten, über deren Tauglichkeit als Instrument man bislang nicht mal nachgedacht hat.

Vor allem aber kommen dazu Texte, Albumcover und Bühnenshows als Utopie-Geschichten-Forschung, als Aufruf, es den Casady-Schwestern gleichzutun: scheißt auf all die Grenzen zwischen Geschlechtern, Kulturen oder Klassen, basteln wir uns eine Welt ohne identitäre Trennungen: heute trage ich mal Schnurrbart, morgen bin ich ein Fabelwesen. Verstehen brauchst du mich nicht, mach für dich selbst etwas daraus.

Das stößt seitdem allenthalben auf entwaffnete Begeisterung: Was die Casady-Schwestern machten, ließe sich einfach nicht beschreiben, war etwa die Süddeutsche sprachlos: Sowas müsse man eben hören. Andere üben sich im Ausschlussverfahren: Trotz Operngesangsausbildung ist das kein Art-Rock; trotz all dieser kindischen Musikspielzeuge klingt das ernst und reif; trotz all der verspielten Experimente sind CocoRosie weit entfernt davon, eine experimentelle Band zu sein.

Man darf also gespannt sein, was die beiden morgen und am Samstag auf die Bühne bringen: Ihre neue Konzert-Show „Die achte Nacht“ haben CocoRosie mit über 20 befreundeten Künstlern erarbeitet, unter anderem mit der traditionellen indische Band Rajasthan Roots. Vor allem aber kann man eine Weltpremiere feiern: Bianca Casady präsentiert im zweiten Teil des Abends ihr zusammen mit dem französisch-brasilianischen Choreografen Biño Sauitzvy und dem französischen Modedesigner Gaspard Yurkievich entwickeltes Tanztheater-Debüt „Nightshift – A Feeble Ballet“. Darin wird sie auch erstmals selbst als Tänzerin auf der Bühne stehen, unter anderem zusammen mit der New Yorker „Vogueing“-Ikone Leiomy Maldonado.

■ Fr, 23. 3. + Sa, 24. 3., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20