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Der Dialog der Provenienz-Datenbanken

Lynn Rother, erste und einzige Professorin für Provenienzforschung in Deutschland, betreut in Lüneburg ein Projekt, das Datenbanken zur Herkunft von Museumsobjekten vernetzt. Dazu muss man aber erst mal gemeinsame Begriffe definieren

Von Friederike Grabitz

Spätestens seit der Debatte über eine Rückgabe der Benin-Bronzen im Berliner Humboldt-Forum kommen die Museen in Deutschland nicht mehr um das Thema Provenienzforschung herum. Fast alle Sammlungen setzen sich damit auseinander, wo ihre Kunstwerke, Druckgrafiken, Musikinstrumente oder Dokumente herkommen und wie sie zu ihnen gelangt sind. Einige, zum Beispiel die Benin-Bronzen, die an Nigeria zurückgegeben werden, sind an sich sehr wertvoll. Andere, wie Briefe oder sterbliche Überreste, haben vor allem einen Wert für die Familien oder Gesellschaften, aus denen sie kommen. Die Erforschung ihrer Herkunft ist fast immer aufwendig und damit teuer.

In den vergangenen Jahren haben sich in Institutionen und Häusern Daten angesammelt, die auf Papier oder in Dateien wie etwa der Lost-Lift-Datenbank erfasst sind. Das Problem: Oft weiß das eine For­sche­r*in­nen­team nicht, was das andere tut. Auf der anderen Seite haben Opfer von NS-Gewalt oder Kolonialismus nur dann eine Chance auf Rückgabe, wenn sie überhaupt erfahren können, wo die verschwundenen Objekte geblieben sind. Zwei Forschungsprojekte an der Leuphana-Universität Lüneburg sollen diese Vernetzung nun ermöglichen.

Das Land Niedersachsen und die VolkswagenStiftung fördern mit insgesamt 1,1 Millionen Euro das Forschungsprojekt „Modern Migrants“, das Daten zur Provenienzforschung von Gemälden in US-Museen zusammenträgt. Dafür entwickelt ein Forscherteam Datenstandards, die auch als Modell an anderen Datensätzen erprobt werden.

Das Projekt „PAESE 3.0“ wiederum bringt Daten niedersächsischer Museen zur Provenienz von Objekten aus kolonialen Kontexten zusammen. Dieses Projekt ist Teil eines Wissenschaftsraumes, in dem die Leuphana-Universität mit Universitäten in Hannover und Oldenburg zusammenarbeitet. Hier geht es vor allem um Objekte aus dem Nationalsozialismus, der DDR und aus kolonialen Strukturen.

Verantwortlich für die beiden Projekte ist das „Provenance Lab“ mit einem interdisziplinären Team, zu dem auch eine Datenwissenschaftlerin, eine Anthropologin und ein Kunsthistoriker gehören. Dessen Leiterin ist die Kunsthistorikerin, Juristin und Betriebswirtschaftlerin Lynn Rother. Mit ihrer Berufung an die Leuphania-Universität im November 2019 und der erfolgten Verstetigung der Stelle im Juli 2024 wurde die erste ordentliche Universitätsprofessur ausschließlich für Methoden der Provenienzforschung geschaffen.

Den Wis­sen­schaft­le­r*in­nen begegnen viele Schwierigkeiten. Zum Beispiel ist oft unsicher, woher ein Objekt kommt, weil man nur weiß, wo die Mis­sio­na­r*in­nen gearbeitet haben, die es mitbrachten, nicht aber, woher das Objekt stammt. Dann stehen in der Beschreibung zum Objekt Begriffe wie „probably from …“ und „possibly from …“. Nuancen, die allerdings einen großen Unterschied machen. Ein Michelangelo, der „wahrscheinlich echt“ ist, ist naturgemäß sehr viel wertvoller als ein „vermutlich“ echtes Gemälde.

Oft ist unsicher, woher ein Objekt kommt, weil man nur weiß, wo die Mis­sio­na­r*in­nen wirkten, die es mitbrachten

Die For­sche­r*in­nen müssen auch Entscheidungen darüber treffen, wie Computer bestimmte Begriffe in den Provenienzentexten verstehen sollen. „Ist ein Museum ein Ort, eine Institution mit einer Personengruppe, eine Sammlung mit Objekten? Und wen meinen englischsprachige Herkunftsangaben, wenn sie von ‚Nazis‘ sprechen: eine beliebige Gruppe aus Parteimitgliedern oder einen Regierungsapparat mit Amtsträgern?“, fragt Rother. Diese Definitionen können nur Menschen erstellen, keine KI, und sie sind die Basis für ihre Datenanalyse und dafür, dass historische Zusammenhänge verstanden werden.

Wenn Forschung derart vernetzt ist, macht das auch die Arbeit der Provenienzforschenden leichter. „Wenn zum Beispiel ein Museum zwei wertvolle Kaurischnecken hat, ein seit ungefähr 1.400 v. Chr. in China belegtes Zahulungsmittel, dann lohnt sich eine Untersuchung nicht“, sagt Rother. „Hat ein anderes Haus aber vielleicht 500 davon, kann man mit diesem Museum dann zusammenarbeiten.“

Bisher sind bereits 79 Museen in den Datenbanken von „Modern Migrants“ miteinander vernetzt. Ein ganz anderes Problem können die Forscher*innen des „Provenience Lab“ allerdings nicht lösen: Während in den USA der Großteil der Provenienzforschung digitalisiert ist, verstauben zum Beispiel in deutschen ethnologischen Museen viele Daten immer noch auf Inventarkarten in Kisten. Wenn es sie überhaupt gibt.

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