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Fünf Hebel für die große Transformation

Ein Team von Ex­per­t*in­nen beschreibt einen Instrumentenkasten zum Erreichen einer guten Zukunft für alle – und die Folgen zögerlichen Handelns

Von Annette Jensen

Der Club of Rome konstatiert: Die Politik hat sich als unfähig erwiesen, Lösungswege für die globalen Probleme zu beschreiten. Bei den 17 Nachhaltigkeitszielen gibt es erst bei 15 Prozent substanzielle Fortschritte. Viele Staaten stecken tief in einer Schuldenkrise und zahlen mehr Geld für Zinsen und Tilgung als für Klimaschutz und Bildung.

Auch Deutschland manövriert sich weiter in eine Sackgasse: Schon drei Millionen Menschen leiden hierzulande an Ernährungsarmut, die Gesellschaft spaltet sich, bei Verkehr und Wärme geht es mit dem Klimaschutz nicht voran, der Ressourcenbedarf der Wirtschaft ist viel zu groß – um nur einige Aspekte zu nennen. Dem will das Autor*innen-Kollektiv von „Earth for All Deutschland“, das aus Ex­per­t*in­nen des Club of Rome und des Wuppertal Instituts besteht, einen Kompass mit „Orientierungswissen“ entgegensetzen. Das gelingt ihm, „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“ ist ein wichtiges Buch.

Club of Rome, Wuppertal Institut (Hrsg.): „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“. Oekom, München 2024, 280 S., 26 Euro

Von „Weltuntergangsstimmung“ raten die Au­to­r*in­nen ab: „Es gibt durchaus Grund zum Optimismus, nicht durch Schönfärberei, sondern gestützt auf solide Fakten.“ Gut gegliedert und verständlich formuliert beschreiben die Au­to­r*in­nen fünf Bereiche, in denen Kehrtwenden notwendig sind: Armut, Ungleichheit und Empowerment, Ernährung und Energie. „Alle fünf Wenden beeinflussen sich gegenseitig und müssen daher gemeinsam und sofort erfolgen“, lautet die Ansage. Grundlage der Expertise ist ein Modell des Millennium Instituts, das jeweils zehn ökologische, soziale und wirtschaftliche Bereiche definiert und deren Wechselwirkungen berechnet hat. „Trippelschritte“ in einzelnen Sektoren oder der Versuch, die Probleme nacheinander anzugehen, müssen scheitern: Notwendig ist systemisches Vorgehen. Dann können sich positive Entwicklungen gegenseitig verstärken.

Für Deutschland haben die Au­to­r*in­nen zwei Szenarien berechnet – ein mutiges und ein verzagtes. Die Au­to­r*in­nen plädieren für massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in die Unterstützung des Globalen Südens und Energiespartechniken für ärmere Haushalte. Zwar würde die Staatsverschuldung dadurch zunächst ansteigen, doch ab 2050 wieder sinken. Dagegen führe die Fortsetzung des bisherigen Wegs zu sehr hohen Folgekosten durch Hitzestress, Fehlernährung und gesellschaftliche Spannungen. Finanziert werden sollten die Programme nicht nur durch eine gelöste Schuldenbremse, sondern vor allem durch Reichensteuern: In Deutschland verfügen fünf Familien über mehr Vermögen als 42 Millionen Menschen am unteren Ende der Skala.

Statt „Trippelschritten“ ist ein systemisches und vor allem synchronisiertes Vorgehen notwendig. Dann können sich positive Entwicklungen gegenseitig verstärken

Bisher fokussierten sich viele Förderprogramme auf neue Techniken. So kamen das Heizungsgesetz und die Unterstützung für E-Autos finanzstarken Haushalten zugute. Zugleich müssen Menschen mit wenig Geld gegenwärtig drei- bis viermal so viel ihres Einkommens für Strom und Wärme ausgeben wie Wohlhabende. Vor allem sie leben in schlecht isolierten Wohnungen. Steigen die Kosten durch die für den Klimaschutz notwendigen CO2-Abgaben weiter, werden Populisten versuchen, das ganze CO2-Preis-System zu kippen, warnt der Club of Rome. Deshalb sollten künftig alle Maßnahmen einem Sozialcheck unterzogen werden. Darüber hinaus gilt es, die Vorteile einer klimafreundlichen Energieversorgung herauszustellen: Sind die Investitionen erst einmal getätigt, wird es billiger und sicherer für alle.

„Eine andere Ökonomie ist nötig“, schreiben die Autor*innen. Wie diese aussehen soll und ob damit das Ende des kapitalistischen Wirtschaftssystems gemeint ist, wollen sie nicht beantworten. Sie verstehen ihr Buch als Beitrag zur Debatte. Es zeigt klar, was notwendig und möglich ist. Der Druck dafür wird kaum aus der Politik kommen. Deshalb beschreiben die Au­to­r*in­nen auch „Empowerment und Selbstwirksamkeit für alle“ als entscheidenden Hebel für den Aufbruch in eine bessere Zukunft.

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