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das wird„Viele Schwarze Häftlinge kamen aus dem Widerstand“

Die Historikerin Gisela Ewe führt einen Rundgang im ehemaligen KZ Neuengamme zu den Schicksalen Schwarzer Gefangener

Interview Esther Erök

taz: Frau Ewe, ab wann wurden Schwarze Menschen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung?

Gisela Ewe: Bereits in der Weimarer Republik und weit davor herrschte ein kolonial bedingter anti-Schwarzer Rassismus. Die Machtergreifung 1933 verschärfte die Diskriminierung erheblich. Ein frühes Opfer war der Kommunist Hilarius Gilges, der 1933 von der SA ermordet wurde. Die NS-Rassenideologie traf auch Schwarze Menschen. Die Nürnberger Gesetze wurden auf sie ausgeweitet, und der koloniale Rassismus setzte sich fort. Besonders betroffen waren Kinder Schwarzer Besatzungssoldaten, die ab 1937 zwangssterilisiert wurden. Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen führten oft zu Verfolgung, Misshandlungen oder sogar der Einweisung ins KZ.

taz: Wie viele Schwarze Häftlinge gab es im KZ Neuengamme?

Ewe: Bislang wurden 15 Schwarze Häftlinge in Neuengamme identifiziert, bei insgesamt etwa 100.000 Inhaftierten. Sie wurden nicht gesondert erfasst, trugen oft europäische Namen, was die Identifikation bis heute sehr erschwert. Die meisten stammten aus französischen oder niederländischen Kolonien und wurden in Europa verhaftet. Aufgrund der fehlenden systematischen Erfassung ist es sehr wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl höher liegt.

taz: Welche Rolle spielte der Widerstand?

Rundgang „Schwarze Gefangene im KZ Neuengamme“: Sa, 22. 2., 14–17 Uhr; Anmeldung unter www.vhs-hamburg.de, 9 Euro

Ewe: Viele Schwarze Häftlinge im KZ Neuengamme wurden wegen ihrer aktiven Tätigkeit im Widerstand festgenommen. Eine Persönlichkeit, die auch in der Hauptausstellung der Gedenkstätte Neuengamme thematisiert wird, ist Waldemar Nods aus Surinam, der mit seiner Frau jüdische Flüchtlinge versteckte. Er wurde verraten, nach Neuengamme deportiert und überlebte nicht. Auch andere Häftlinge, insbesondere aus den französischen Kolonien, waren in Widerstandsnetzwerken aktiv und wurden von der deutschen Besatzungsmacht als Bedrohung angesehen.

taz: Gab es Solidarität unter den Häftlingen?

Ewe: Solidarität war im Lager überlebenswichtig, aber nicht selbstverständlich. Der senegalesische Häftling Dominique Mendy nutzte rassistische Klischees der SS zu seinem Vorteil: Er behauptete, besonders „schmutzig“ zu sein, und forderte deshalb Seife. Die SS gab ihm Seife und Brot, das er mit seinen Mitgefangenen teilte. Mendy berichtete auch davon, wie er mit einem anderen senegalesischen Häftling, Sidi Camara, im Lager zusammenkam und in ihrer Muttersprache Wolof sprach. Diese Form von Zusammenhalt habe ihnen sehr geholfen. Doch die ständige Willkür und Brutalität der SS sowie die erzwungene Hierarchie innerhalb des Lagers erschwerten solche Versuche.

taz: Wie erging es den Überlebenden?

Foto: Marie Zachger

Gisela EweJahrgang 1983, ist Historikerin und Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Ewe: Nur etwa die Hälfte aller Häftlinge überlebte die Zeit im KZ Neuengamme. Einige, wie Dominique Mendy, hatten später bemerkenswerte Karrieren: Er wurde der persönliche Fotograf des ersten senegalesischen Präsidenten Leopold Senghor. John Williams, ein weiterer Überlebender, wurde in Frankreich ein erfolgreicher Sänger. Die offizielle Anerkennung Schwarzer NS-Opfer geschah jedoch nur zögerlich, und es gibt bis heute zu wenig Forschung zu ihrem Schicksal.

taz: Warum ist das Thema wenig erforscht?

Ewe: Die Quellenlage ist schwierig, da die Hautfarbe der Inhaftierten in NS-Dokumenten oft nicht erfasst wurde. Die Forschung begann erst spät, da die deutsche Geschichtsschreibung weiß und eurozentrisch geprägt ist und sich lange nicht für Schwarze Geschichte interessierte. Die ersten Ansätze einer Schwarzen Geschichtsschreibung stammten aus der Schwarzen Frauenbewegung um May Ayim und Katharina Oguntoye, die auch heute noch dazu arbeitet. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme arbeitet inzwischen daran, die Schicksale Schwarzer Häftlinge zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sichtbarer zu machen.

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