Der Film „Blue Moon“ bei der Berlinale: An nur einem Abend an der Bar
Richard Linklaters „Blue Moon“ erzählt flamboyant von der dramatischen Lebensgeschichte eines Hollywood-Musicaltexters. Der Film läuft im Wettbewerb.
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Was ist das beste Zitat aus Casablanca? Hierzulande stimmt man wohl für „Ich seh dir in die Augen, Kleines“ oder auch „Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen!“. Aber der kleine Mann an der Bar, um den sich Richard Linklaters Film „Blue Moon“ dreht, weiß es besser. Es ist: „Nobody ever loved me that much.“ „Mich hat noch niemand so geliebt …“
Linklater lässt seinen Film an einem einzigen Abend spielen, es ist der 31. März 1943, nebenan hat das Musical „Oklahoma!“ gerade seine Premiere, und Lorenz Hart (Ethan Hawke) hat sich vor dem Schlussapplaus in besagte Bar davongeschlichen, wo er nun mit dem Mann hinter der Theke (Bobby Cannavale) über „Casablanca“-Zitate und die Liebe philosophiert und auf die Gäste von der Premiere wartet.
Lorenz Hart, den alle Larry nennen, identifiziert sich an diesem Abend besonders mit Ricks dahingeworfenem Satz, weil auch er Grund hat, sich ungeliebt zu fühlen: Über 20 Jahre haben er und der Komponist Richard Rodgers zusammen Musicals und Songs geschrieben – das titelgebende „Blue Moon“ ist das vielleicht bekannteste davon –, nun hat Rodgers sich für „Oklahoma!“ mit einem anderen Texter zusammengetan, Oscar Hammerstein.
Hart versteht genug vom Broadway-Geschäft, um zu wissen, dass „Oklahoma!“ ein Riesenerfolg werden wird. Aber sein scharfer Geist stört sich am Kitsch des Rodgers-&-Hammerstein-Musicals, an dessen mangelnder Selbstironie und Ambivalenz. Mit ätzender Häme demontiert er vor dem Barkeeper einzelne Zeilen, aber als schließlich die Crew zum Premierendrink hereinströmt, überschüttet er sowohl seinen langjährigen Kollaborateur Rodgers (Andrew Scott) wie seinen Konkurrenten Hammerstein (Simon Delaney) mit höchstem Lob.
Lorenz Harts unrühmliches Ende
Letzteres ist historisch verbürgt. Genauso die traurige Tatsache, dass Lorenz Hart acht Monate später im Alter von nur 48 Jahren starb. Als Alkoholiker war er im Suff einer Winternacht in einer Gosse zusammengebrochen und hatte sich eine Lungenentzündung geholt.
Linklater beginnt seinen Film, der weniger Biopic als Hommage ist, mit zwei gegensätzlichen Zitaten über diesen Mann, den viele für ein zu selten besungenes Broadway-Genie halten. In dem einen wird er als großer Entertainer beschrieben, unterhaltsam und geistreich. Im anderen als einer der „traurigsten Männer“ überhaupt.
20. 2., 13 Uhr, Urania
23. 2., 10 Uhr, Berlinale Palast
Diesen Widerspruch lässt Ethan Hawke in der Rolle auf geradezu schmerzhafte Weise lebendig werden. Die Kameraeinstellungen machen ihn künstlich klein, und so gezwungen das im Film auch wirkt, hat es vielleicht seine Berechtigung, weil Hart sein Gefühl, der Liebe unwürdig zu sein, wohl immer auch mit seiner kleinen Statur in Verbindung brachte.
Die schütteren Haare über die Halbglatze gekämmt, mit sturem Blick aufs nächste Glas und stets einer giftigen Bemerkung auf den Lippen, porträtiert Hawke den Textautor nicht unbedingt als sympathischen Menschen.
Im theaterhaften Dialog, aus dem „Blue Moon“ besteht, kann er einem auch ziemlich auf die Nerven gehen, mit seinen Obsessionen, seinem demonstrativen Bekenntnis zur Kläglichkeit. Und dann kommt wieder so ein Geistesblitz. Man verlässt diesen Film mit Knoten in der Magengrube, wie angegriffen vom tiefen Trauma dieses Menschen und voll Trauer über sein im Alkohol verschwendetes Talent.
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